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144 Nach Schelling war es damit streng genommen erforderlich, den Gedanken an die Philosophie als eine abgrenzbare Fachwissenschaft aufzugeben. Die Philosophie repräsentierte statt dessen ein notwendiges Element, einen Pol, in der Dialektik des Erkenntnisprozesses. Die philosophische Qualität des Wissens bestand aus der einheitschaffenden Kraft, die die Allgemeingiiltigkeit und das Ideal charakterisierte. Der notwendige Gegenpol zur Eigenart der philosophischen Reflexion bestand aus dem Wissen umdie reelle und innere Einheit der Sache. Damit es iiberhaupt möglich wurde, diesen Trend der philosophischen Einseitigkeit zu brechen, wurde vorausgesetzt, dafi es die Vernunft auf irgendeine Art vermochte, das vernunftsmäfiig Ideelle mit dem objektiv Gegebenen in der dialektiscben Einheit zu verbinden, das heifit eine Einheit zwischen dem philosophischen Wissen und der Geschichte anzunehmen. Diese notwendige Identität zwischen der ideell geprägten Philosophie und der besonderen Einheit der Geschichte, machte eine zentrale Gedankenlinie in Savignys Versuch aus, der Rechtslehre in ihrer Ganzheit einen wissenschaftlichen Grund zu verleihen. Der einzige Schutz gegen die vorgegebene Vernunftswissenschaft, die Hegemonieforderung der Philosophie, bestand folglich in demhistorischen Ausdruck und der Kraft des Eigentiimlichen: „Ein zweyfacher Sinn ist demJuristen unentbehrlich: der historische, umdas eigenthiimliche jedes Zeitalters und jeder Rechtsformscharf aufzufassen, und der systematische, um jeden Begriff und jeden Satz in lebendiger Verbindung und Wechselwirkung mit dem Ganzen anzusehen, d.h. in dem Verhältniss, welches das allein wahre und naturliche ist. Dieser zweyfache wissenschaftliche Sinn findet sich ungemein wenig in den Juristen des achtzehnten Jahrhunderts, und vorziiglich ein vielfältiges flaches Bestreben in der Philosophie wirkte sehr ungiinstig."**^ Der historisch-eigentiimliche Ausdruck eines Ideals wird, im Gegensatz zu seinemphilosophischen Grund, dadurch charakterisiert, daft er in Raumund Zeit bestimmt ist. Das Eigentiimliche macht folglich eine abgrenzbare Einheit aus; sie ist eine Persönlichkeit mit einer gewissen bestimmten Reichweite, die verschiedene Entwicklungsstadien wie Geburt, Leben und Tod durchmacht. In Vereinigung mit den ideellen Charakteristiken der Vernunftseinheit, verhindert das historische Element das Aufkommen einer derartigen wissenschaftstheoretischen Vernunftseinseitigkeit und bildet die Grundlage fiir die wissenschaftliche Methode, welche der Tendenz der menschlichen Vernunft entgegenwirkt, den dogmatischen Irrtumzu begehen. Durch das Postulat einer notwendigen Einheit zwischen philosophischer und historischer Wissenschaft wurde es folglich möglich, alle äuf^eren Ziele aus dem Stoff auszumerzen, so dafi nur das Wahre, das Vernunftsbestimmte, und das Naturliche oder Naturbestimmte iibrigblieb. AaO. S. 29. Diese Kritik gegen „dem flachen Streben in dcr Phdosophie" dergang der Jurisprudenz während des 18. Jahrhundert verursacht - macht ein Parallellfall zu Schellings kritischen Aussagen fiber das Unvermögen der Vernunft, eine Relation zwischen der allgemeinen Einheit des Wissens und dessen sachlicher Bestimmung im Erkenntnisprozeis zu etablieren. dab es den Nie-

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