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135 nere, objektive Einheit wiederspiegelt. Dadurch war dem Stoff ein philosophisch notwendiger Grund in der Sache an sich gegeben. Der wissenschaftliche Stoff hatte sich durch Idealisierung von zufälliger Vielfalt in eine Einheit, die ein philosophisches Ideal ausdriickt, veredelt. Das bedeutete, dafi die Selektion, die die wissenschaftliche Bestimmung des Stoffes biidete, es ermöglichte, den Stoff als Ausdruck der wissenschaftlichen Einheit, als gegeben, oder mit anderen Worten, als ontologisch notwendig aufzufassen.^^ Die Materie der wissenschaftlichen Tätigkeit hatte durch die einheitschaffende Kraft der Vernunft einen Grund in der eigenen inneren Einheit gefunden. Damit war es wissenschaftstheoretisch nicht durchfiihrbar, den derartig organisierten Stoff von seiner ontologischen Basis zu trennen: der Stoff war „an sich“ oder „von selbst“ notwendig geworden. Das Material, „die Erbschaft“, die die Vernunft beherrschen wollte, war folglich nicht durch Willkiir, unzugänglich fiir das reproduktive Vermögen der Vernunft, entstanden. Hinter der äufieren, scheinbar zufälligen Vielfalt verbarg sich eine Einheit, die es statt dessen der wissenschaftlichen Vernunft ermöglichte, ebenfalls materielle Einheit imStoff zu schaffen: „Die geschichtliche Schule nimmt an, der Stoff des Rechts sei durch die gesamte Vergangenheit der Nation gegeben, doch nicht durch Willkiir, so daB er zufällig dieser oder ein anderer sein könnte, sondern aus dem innersten Wesen der Nation selbst und ihrer Geschichte hervorgegangen. “ 66 Die freie Handlungsweise der Vernunft bedeutete also, dal5 die wissenschaftliche Tätigkeit ihr notwendiges Objekt sowohl schaffen als auch finden mufite. Der Gharakter der freien Wissenschaft mufite nämlich, um nicht in Widerspruch mit der transzentralphilosophischen Freiheitsforderung der Vernunft zu geraten, und umnicht gezwungen zu werden, das freie Gebiet der Wissenschaft zur Siehe Die Grunägedanken, S. 17: „Die besonnene Tätigkeit jedes Zeitalters aber miisse darauf gerichtet werden, diesen mit innerer Notwendigkeit gegebenen Stoff zu durchschauen, zu verjiingen, und frisch zu erhalten“. Die Verwandlung des Stoffes, von feindlicher Viefalt zu sowohl Ausdruck des Objekts als Eindruck des Subjekts, bedeutete, dals man einen Weg, der fiber den Grab zwischen apriorischem und aposteriorischemWissen fiihren konnte, gefunden hatte. Dieser Neuansatz wird von manchen als das revolutionerande Element der savigny’schen Theonekonzeption angesehen, siehe z.B. Schröder, J., aaO. S. 164 f.: „Savigny vollzieht hier also eine grundsätzliche und folgenreiche wissenschaftstheoretische Kehrtwendung: Mit demWort ,positiv* wird jetzt nicht mehr der Begriff ,willkurlich‘ (das meistgebrauchte Peiorativum in der Schrift Vom Berut!), sondern der wissenschaftstheoretische Wertbegriff ,notwendig* verbunden. Dadurch wird die Rechtswissenschaft nun auch dem Stoff nach wissenschaftlich und nicht nur durch die ,philosophische*, systematische Eorm, die sie dem Stoff gibt. Darin liegt der entscheidende Schritt, den Savigny iiber die Kantianer und iiber die ,klassische* Wissenschaftstheorie iiberhaupt hinaus (in Richtung auf eine ,positivistische*) tut: denn der Sache nach ist mit dieser Umwertung des ,a posteriorischen* Positiven das alte - am Modell philosophischer Erkenntnis orientierte — Kriterium eigentlicher ,a priorischer* Wissenschaft aufgegeben ...**; vgl. Wilhelm, aaO. S. 125 und Riickert, aaO. S. 318 f. (das Gegebene als notwendig). Savigny, aaO. S. 17.

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