RB 44

128 Die Auffassung, die rechtswissenschaftliche Methode ware ein Dekor der praktischen Rechtslehre, ist ein Ausdruck fiir einen tiefliegenden Widerspruch in Kants transzendentalphilosophischem Ståndpunkt, die erst der nachkantianischen idealistischen Philosophie zu uberbriicken gliickte. Der uniiberwindliche Abgrund, der sich zwischen der Philosophie als Wissenschaft an sich und den objektbestimmten Wissensformen, geöffnet hatte, fiihrte zu der unsinnigen Konsequenz, dafi das philosophisch notwendige Element der Jurisprudenz - das Naturrecht - nur eine Hilfswissenschaft fiir die praktische Rechtslehre ausmachte. „Die gewöhnliche Ansicht vom Studium des Naturrechts ist, dafi es dem Studium der positiven Jurisprudenz als Vorkenntnis vorausgehen miifite. Es ist aber schon Herabwiirdigung einer philosophischen Wissenschaft, sie als blofie Vorkenntnis einer historischen zu betrachten. Aber auch blofi als Vorkenntnis ist Philosophie dem Juristen durchaus nicht notwendig. Jurisprudenz an sich kann ebenso gut ohne Naturrecht als mit solchem studiert werden. Der philosophische Einflufi, das gilt sowohl der wolffianischen als auch der kantianischen Wissenschaftstheorie, war nach der Aufassung Savignys damit sinnlos oder sogar schadlich fiir die rechtswissenschaftliche Wirksamkeit. Eine leere Theoriekonzeption mufite notwendigerweise den Effekt haben, dafi die Rechtswissenschaft — ja jede praktische Tätigkeit — gezwungen wird, die Bedeutung und Notwendigkeit der philosophischen Bearbeitung völlig zu verneinen.^^ Die Philosophie wurde zu einem Mittel, um eine scheinbare wissenschaftliche Legitimität zu gewinnen, abgewertet; eine Hilfswissenschaft, um die Tätigkeit mit einem äufieren Schein von Wissenschaftlichkeit zu versehen. Damit gelang es der Philosophie auch nicht, einen wissenschaftlichen Grund fiir die spezialwissenschaftliche Argumentation zu erlangen. Nach Meinung Schellings stellte die kantianische Auffassung von der Philosophie als eine Wissensformohne Objektbestimmungen einen Ausdruck fiir eine ungeniigend emanzipierte Vernunft dar, denn eine inhaltlose Wissenschaft konnte definitionsmäl^ig niemals frei sein. Durch den Ståndpunkt der blofi kritischen Vernunft war die Vernunft gegen ihren Willen dazu gekommen, sich zu dem in sich willktirlichen Stoff zu relativieren. Diese grundlegende Gegensätzlichkeit zwischen Vernunft- und Objekteinheit, zwischen der keine Verbindung vorausgesetzt werden konnte, war die Ursache, dal^ die freie Wissenschaft - die Metaphysik - trotz der ,,kopernikanischen“ Wende doch noch als Ganzheit nicht gegen Empirismus und Willkiir zu schiitzen vermag. Ganz anders wird diese Kritik von Hollerbach dargestellt, siehe aaO. S. 297 f., der in diesem Passus die Entschleierung von dem „Lippenbekenntnis“ zur Philosophie, die die Juristische Methodenlehrc imiibrigen enthalten sollte - siehe z.B. die Uberschrift auf S. 48: „Einflufi der Philosophie auf die Jurisprudenz". AaO. S. 50. Die Folge einer leeren und abstrakien Theorie ist, nach Savigny, in Die Grundgedanken, S. 28: „da(l die Theorie zu eineni leeren Spiel, die Pra.xis zu einem blolsen Handwerk herabsinkt". Das macht, meiner Meinung nach, den Kern der Kritik der philosophischen „Einseitigkeit“ aus. u 34

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYyNDk=