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123 aus. Die emanzipierte Vernunft sollte, nachdemes ihr gelungen war ein eigenes Ziel zu formulieren, danach streben, einen Ausdruck dieser Form im Stoff zu konstruieren. Die kantianische Auffassung der Metaphysik als die Formdes Wissens in sich, kombiniert mit dem transzendentalphilosophischen Ståndpunkt, durch den das synthetische Wissen nur von formellen Charakter sein konnte, fiihrt zu einem scharfen Gegensatz zwischen den philosophischen, formellen Wissenschaften und den iibrigen, stofflich-historisch geprägten Wissensformen. Der strikte Unterschied zwischen Formund Stoff, der die kopernikanische Wende innerhalb der Philosophie möglich machte, mubte streng genommen das Bemiihen der objektgeprägten Disziplinen, wissenschaftliche Formund Struktur zu erreichen, aufheben. Die Aufgabe der Philosophie, die Wissenschaft der Wissenschaft zu sein, gab Ausdruck fiir eine allgemeine Bestimmung des Wissens - die ,,Forderungen der Wissenschaftlichkeit“ - die, auf der einzig und allein kritischen Stufe der Vernunft, mit jeder objektiven Bestimmung unvereinbar war. Die fachwissenschaftliche Tätigkeit vermochte demzufolge nur willkiirliche Aggregate des Stoffes zu leisten, ohne daft es jemals gegluckt ware, ein wahres wissenschaftliches Niveau zu erreichen. Die materiellen Wissenschaften wurden statt dessen von äufieren, willkurlichen und fiir die Wissenschaft fremden Zielen getrieben. Dies gait natiirlich ebenso der Rechtswissenschaft, die von ihrem historischen Erbe ,,nicht wie wir wollen" getrieben wurde. Auf Grund dieses Unvermögens der kritischen Vernunft, die Vielfalt sachlich zu bestimmen, ist die spezialwissenschaftliche Tätigkeit zu einem alle Theorie verleugnenden Handwerk herabgesunken. Es wurde eine messerscharfe Grenzlinie zwischen den freien philosophischen Wissenschaften und den historischen Wissensarten, die niemals die Stellung einer reinen und damit freien Wissenschaft erreichen konnten, gezogen, die somit das grol^e Systemder Wissenschaft in zwei separate Abteilungen teilte. Die wissenschaftliche Form der objektbestimmten Disziplinen konnte nur auf eine apriorische Einheit in der materiellen Vielfalt gestiitzt werden, das heifit im Wesen der Sache. Die Anwendung einer solchen erkenntnistheoretischen Kategorie sollte jedoch gegen die Begrenzungen, worauf die emanzipierte Vernunft ihre Unabhängigkeit griindet, streiten. Nach der freien Vernunft mufi ja jede apriorische Objektbestimmung als ungehörige Konkurrenz zur produktiven Kraft der Vernunft aufgefabt werden. Eine Vermittlung zwischen diesen Einheiten war deshalb ausgeschlossen. Es hatte sich ein Abgrund zwischen den formellen Kategorien der freien Wissenschaft und der Objektwelt geöffnet, aus dem die menschliche Vernunft, ihrer eigenen notwendigen Begrenzungen bewulk, erschreckt zuriickwich. Dieses erkenntnistheoretische Problem, die Frage, inwieweit eine Vermittlung zwischen der emanzipierten Vernunft und einem selbstandigen Objekt

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