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114 Tätigkeit ganz nach den Voraussetzungen der Vernunft auszuiiben; die Vernunft hatte sich, innerhalb des wissenschaftlichen Gebietes, von der Willkiir und Unvorhersehbarkeit des Zweckpluralismus emanzipiert. Die selektive und systematische Kraft der Vernunft bekam dadurch eine bestimmte Richtung: die wissenschaftliche Methode trieb das Wissen ständig zu dessen Vollendung und Ideal - zumwissenschaftlichen Ziel - hin. Die auf diese Weise emanzipierte Vernunft gab selbständig die Formder Wissenschaft, Abgrenzung und Struktur, ab und räumte damit die Anomalien und Streitigkeiten, die die Existenz der wissenschaftlichen Tätigkeit bedrohte, aus dem Weg. Durch die Begrenzungen der philosophisch notwendigen Formen wurde der Wissenschaft eine Entfaltung den sicheren Weg der Wissenschaft entlang garantiert. Die Metaphysik, deren allgemeine Aufgabe und Bestimmung die Feststellung der ontologischen Voraussetzungen des Wissens darstellte, hatte durch die Emanzipation der Vernunftskräfte eine unerschiitterliche Basis fiir die akademische Tätigkeit dieses Gebietes konstruiert. Die Definition der Wissenschaft an sich machte die Disziplin von der Niitzlichkeitsargumentation des Zweckpluralismus durchaus unabhängig. Der innere philosophische Notwendigkeitscharakter des Zweckes war der Grund fiir die Entwicklung einer Wissenschaft, „die nur sich selbst ist“ (Ritschl): eine absolute und freie Wissenschaft, die ohne Verbindungen zu wissenschaftlich fremden Zwecken bestand. Aus der Auffassung Savignys - man sollte die wissenschaftliche Tätigkeit „wie wir“, das heifit, wie die wissenschaftliche Vernunft, „wollen“ betreiben - folgt, dafi auch die Rechtswissenschaft vom Grund der emanzipierten Vernunft aus betrieben werden sollte. Die besorgniserregende Lage der Rechtswissenschaft und iibrigen Wissenschaftszweige begriindete sich schliefilich auf einer Verwechslung der inneren notwendigen Systematik des Wissens selbst mit der zufälligen, bloB historischen Anhäufung des Stoffes. Anstått einzig und allein ein Wissenschaftsobjekt darzustellen, das als reine und indifferente Vielfalt fur die systematische Kraft der Vernunft offen ist, hatten die äuBeren Zwecke und Ziele, die imStoff verborgen waren, die Aufgabe des Subjektes imErkenntnisprozefi ubernommen. Das fiihrte zu einer Wissenschaft, deren Zustand, Rang und blofie Existenz von ständig wechselnden Zielen und Interessen aufierhalb des wissenschaftlichen Bereiches abhängig gemacht wurde; „Die Rechtswissenschaft hat lediglich den Inhalt der Gesetze zumGegenstand. Demnach ist die Gesetzgebung selbst, so wie die Rechtswissenschaft, von ganz zufälligem, wechselndem Inhalt, und es ist sehr möglich, dafi das Recht von morgen demvon heute gar nicht ähnlich sieht. Die rechtswissenschaftliche Tätigkeit vermochte folglich nicht die Forderung nach freier Wissenschaftlichkeit zu erfiillen, denn ,,frei“ ist die wissenschaftliche Argumentation nur, wenn sie nicht ,,von irgendeiner fremden besonderen Willkiir ausgegangen ist. '' Savigny, Vom Beruf, S. 4. Die Grundgedanken, S. 15; vgl. mit Ritschl („ungehmdert durch fremde Gewalten"). “ 22 “23

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