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101 Die organische Systematik, die dutch die Dialektik zwischen Allgemeinemund Besonderem in der Erkenntnis entsteht, wird dadurch charakterisiert, daft jede Systemeinheit zwischen dem Abstraktesten und der Vielfalt des Stoffes gleichzeitig sowohl als Teil als auch als Ganzes aufgefaBt werden mufi. Dadurch wird der Gegensatz zwischen philosophischen und historischen Erkenntnisarten, der das Dilemma des Streits der Fakultäten verursachte, iiberbriickt. Die Universität als Ausdruck fiir die allgemeinste Einheit der Wissenschaft sollte damit nicht nur vereinbar mit der Fakultätseinteilung, sondern eine Voraussetzung hierfiir sein. Diese Organisation, die Einheit in der Vielfalt garantierte, war nach Schellings Auffassung, das Resultat daraus, dafi alle wissenschaftliche Tätigkeit ,,im Geist des Ganzen“ betrieben wurde. Dieses bedeutete, daft der besonderen Ausbildung immer eine allgemeine Bildung vorausgehen mufi: „Der besondern Bildung zu einem einzelnen Each mufi also die Erkenntnifi des organischen Ganzen der Wissenschaften vorangehen. Derjenige, welcher sich einer bestimmten ergibt, mufi die Stelle, die sie in diesemGanzen einnimmt, und den besondern Geist, der sie beseelt, so wie die Art der Ausbildung kennen lernen, wodurch sie dem harmonischen Bau des Ganzen sich anschliefit, die Art also auch, wie er selbst diese Wissenschaft zu nehmen hat, um sie nicht als ein Sklave, sondern als ein Freier und im Geiste des Ganzen zu denken. Durch die philosophische Bestimmung der wahren Natur der Erkenntnis wurden alle Ausdriicke von Willkiir aus dem Bereich der Wissenschaft ausgemerzt — die wissenschaftliche Tätigkeit wurde von jedem äufieren Zwang befreit. Die Fähigkeit, die besondere Disziplin im Geiste des Ganzen zu behandeln, machte folglich den Unterschied zwischen dem Sklaven - dem Brotgelehrten - und demfreien Wissenschaftler aus. Der erfolgreiche Wissenschaftler mufite in der Lage sein, seinen besonderen Wissenschaftszweig als ein organisches Glied in dem grofien System der Wissenschaft aufzufassen, oder mit Schellings Worten: „Um mit Erfolg einzugreifen, mufi er, selbst vom Geist des Ganzen ergriffen, seine Wissenschaft als organisches Glied begreifen und ihre Bestimmung in der sich bildenden Welt zum voraus erkennen. “ 90 « 91 Denn ansonsten riskiert er, beraubt von sowohl Kompafi wie Leitstern, sich im Ozean der Erkenntnis zu verirren - unfähig Wahres von Unwahremzu unterscheiden. Durch die Grundannahme der organischen Systematik — der Einheit zwischen Organismus und Organ - wurde es möglich, sich eine akademische Methode vorzustellen, die fiir den Wissenschaftler sicher kreuz und quer iiber die ausgdehnte Oberfläche der Erkenntnis fiihrte. Durch die einheitschaffende Kraft der wissenschaftlichen Methode bekam der Wissenschaftler eine Möglichkeit, selbst den Erkenntnisprozeb dahin zu steuern, wohin er und nicht dorthin, wohin die Willkiir strebte. Ohne diese wissenschaftliche Methodik, AaO. S. 213. AaO. S. 213 1.

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