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94 darin stimmte auch Schelling ein, war vornehmlich auf passives Einlernen von disparatemStoff - demBesonderen an sich -eingerichtet. Diese Uberbetonung der historischen Seite der Erkenntnis stellte in Der Streit der Fakultaten den charakteristischen Zug der oberen Fakultäten dar. Die Tatsache, daft auf diese Weise ein fiir allemal der brotwissenschaftliche Charakter der oberen Fakultäten festgeschrieben wurde, ftihrte notwendigerweise zu einer unversöhnlichen Feindschaft zwischen den äufieren Zwecksetzungen dieser Fakultäten und dem Streben der unteren Fakultät, demInteresse der Wissenschaft Ausdruck zu geben. Schellings Kritik an Kants Ståndpunkt in dem Streit der Fakultäten läuft genau darauf hinaus: ein Ståndpunkt, der in sich schliefit, dal? die Grenze zwischen Wissenschaft und Willkiir quer durch den Organismus der Universität verläuft, mufite einseitig sein. Die reine, abstrakte Möglichkeit, die der kantianische Wissenschaftsbegriff repräsentierte, stand zwangsläufig in unauflöslichemGegensatz zu der Einheit des empirischen Stoffes. Die Ubung der wissenschaftlichen Fähigkeit war mit dem Erwerb von historischem Stoff durch das Erkenntnissubjekt unvereinbar. Dies war die breite Kluft, vor der die Wissenschaftler bis dahin zur Resignation gezwungen worden waren. Den Ausgangspunkt fiir Schellings Versuch, diesen Gegensatz aufzulösen, bildete die Feststellung, dal? jedes Studium notwendigerweise einen historischen Einschlag haben mul?: „Der Begriff des Studirens schliel?t an sich schon und besonders nach den Verhältnissen der neueren Cultur eine doppelte Seite in sich. Die erste ist die historische. In Ansehung derselben findet das blofie Lernen statt. An sich ist jedoch der historische Stoff erkenntnistheoretisch unbestimmt; nur im Verhältnis zu der allgemeinen Erkenntnis ist es möglich, die Fiille des Besonderen als eine abgrenzbare Einheit zu erfassen. Diese Fähigkeit, durch die Kombination der zwei Seiten der Erkenntnis ein Objekt von empirischem Stoff zu bilden, kann mithin nicht allein eingelernt werden, sondern mul? geiibt werden: « 72 „Jede Wissenschaft hat aul?er ihrer eigenthiimlichen Seite eine andere noch, die ihr mit der Kunst gemein ist. Es ist die Seite der Form, welche in einigen derselben sogar vomStoff ganz unzertrennlich ist. Alle Vortrefflichkeit in der Kunst, alle Bildung eines edlen Stoffs in angemessener Formgeht aus der Beschränkung hervor, die der Geist sich selbst setzt. Die Formwird nur durch Ubung vollständig erlangt, und aller wahre Unterricht soli seiner Bestimmung nach mehr auf diese als auf den Stoff gehen, (mehr das Organ iiben als den Gegenstand iiberliefern. - Aber das Organ auch der Wissenschaft ist Kunst, und diese will durch Ubung gebildet und gelernt seyn).“ Schelling, aaO. S. 239. AaO. S. 241.

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