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92 „Die Philosophic, welche den ganzen Menschen ergreift und alle Seiten seiner Natur beriihrt, ist noch mehr geeignet, den Geist von den Beschranktheiten einer einseitigen Bildung zu befreien und in das Reich des Allgemeinen und Absoluten zu erheben.“^^ Die einzige Alternative zu der Ausbildung, die in den Industrieschulen angeboten wurde, bildet ein Studium, das die Beschränktheit der einzelnen Berufsbestimmung iiberschreitet. Die Brotgelehrten muBten durch Gelehrte ersetzt werden, die sich in erster Linie als Wissenschaftler und erst danach als Juristen oder Ärzte auffassen: „Eine andere Riicksicht kommt noch in Betracht. Auch in der Wissenschaft und Kunst hat das Besondere nur Werth, sofern es das Allgemeine und Absolute in sich empfängt. Es geschieht aber, wie die meisten Beispiele zeigen, nur zu häufig, dafi iiber der bestimmten Beschäftigung die allgemeine der universellen Ausbildung, iiber dem Bestreben, ein vorziiglicher Rechtsgelehrter oder Arzt zu werden, die weit höhere Bestimmung des Gelehrten iiberhaupt, des durch Wissenschaft veredelten Geistes vergessen wird. Dieser Bildungsgedanke setzt jedoch eine Kopplung zwischen zwei, entgegengesetzten Qualitäten voraus, zwischen der Philosophie als der allgemeinen Einheit der Erkenntnis und dem einzelnen Element in der spezialwissenschaftlichen Tätigkeit.^^ Dieser Gegensatz, verwandelt zu unversöhnlicher Gegensätzlichkeit, stellte doch den zentralsten und charakteristischsten Zug der kantianischen Erkenntnistheorie dar; sich empirischen Stoff anzueignen und die Fähigkeit zur Reflexion zu iiben, waren direkt entgegengesetzte Bestrebungen. Nach Schellings Auffassung fehlte es an dieser notwendigen Relation zwischen der Philosophie und den tibrigen Zweigen der Wissenschaft in Allgemeinheit: „Allein entweder existirt zwischen der allgemeineren Wissenschaft und dem besondern Zweig der ErkenntniE, dem der Einzelne sich widmet, iiberhaupt keine Beziehung, oder die Wissenschaft in ihrer Allgemeinheit kann sich wenigstens nicht so weit herunterlassen, diese Beziehungen aufzuzeigen . . . Das bisherige Unvermögen der menschlichen Vernunft, sich in der Erkenntnis frei zwischen der allgemeinen Einheit und deren am meisten besonderen Element - dem Stoff - zu bewegen, war die eigentliche Ursache fiir den Antagonismus zwischen den Fakultäten, der die innere Einheit der Universität bedrohte. Philosophische und historische Einseitigkeit in Kombination gab die Veranlassung zu einem Abgrund, der sich zwischen dem, was der Grund der « 67 « 69 “ Schelling, aaO. S. 212. AaO. ibidem. Spränger (aaO. S. 141) behauptete, dafi die leitende Idee hinter des Universitätskonzeption des nachkantischen Idealismus von der Auflösung von „dem grofien Gegensatz der allgemeinen und speziellen Bildung“ in dem absoluten Gegensatz zwischen „wissenschaftlichen und unwissenschaftlichen" gebildet wurde. Schelling, aaO. S. 212 f. 68

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