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81 tianischen Vernunft. Ein wissenschaftliches Handeln vorzuschreiben, wiirde mithin bedeuten, die Grenzen, die die Autonomie der Wissenschaft garantieren, zu iiberschreiten. Dies schlofi natiirlich Freiheit ein, aber fiihrte gleichzeitig auch zu einer Lähmung des Handelns der Vernunft. Kant exemplifizierte die Konsequenzen dieser Grenzziehung wie folgt: die Lehrer in der unteren Fakultät konnten, im Gegensatz zu den Vertretern der oberen Fakultäten, binsichtlich der Legitimität der vorgetragenen Lehren nicht auf äul^ere Autoritäten verweisen: „Wenn also von der Wahrheit gewisser Lehren, die in öffentlichen Vortrag gebracht werden sollen, die Rede ist, so kann sich der Lehrer desfalls nicht auf höchsten Befehl berufen, noch der Lehrling vorgeben, sie auf Befehl geglaubt zu haben, sondern nur, wenn vomTun geredet wird. Dem wissenschaftlichen Argumentationsgrund fehlte es in der kantianischen Erkenntnistheorie an demVermögen, das Handeln anzubefehlen. Diese Unfähigkeit biidete den Grund fiir das wahre Verhältnis zwischen den historischen und den philosophischen Erkenntnisarten und damit auch in der Verlängerung zwischen den verschiedenen Klassen von Fakultäten. Folgende Zeilen aus Der Streit der Fakultäten beleuchten die begrenzte Bedeutung des kantianischen Wissenschaftsbegriffs als Grund fiir den Freiheitsanspruch der wissenschaftlichen Tätigkeit: „Ein französischer Minister berief einige der angesehensten Kaufleute zu sich und verlangte von ihnen Vorschläge wie demHandel aufzuhelfen sei . . . Nachdem einer dies, der andere das in Vorschlag gebracht hatte, sagte ein alter Kaufmann, der so lange geschwiegen hatte; Schafft gute Wege, schlagt gut Geld, gebt promptes Wechselrecht u. dgl., iibrigens aber ,lasst uns machen‘! Dies ware ungefähr die Antwort, welche die philosophische Fakultät zu geben hätte, wenn die Regierung sie um die Lehren befriige, die sie den Gelehrten iiberhaupt vorzuschreiben habe: den Fortschritt der Finsichten und Wissenschaften nur nicht hindern.“^^ Die wissenschaftliche Freiheit muBte, gemäB Kant, sich darauf beschränken, einen Anspruch auf Unabhängigkeit in Isolation darzustellen.^’ “37 „Lerne nur, umselbst zu schaffen“ In Immanuel Kants Schrift Der Streit der Fakultäten wird eine lebhafte SchilAaO. S. 337. AaO. S. 330, Fn. 1. Zu diesem Zug von Einsamkeit und Freiheit als einem durchgehenden Thema in der Bildungsdebatte dieser Zeit, siehe Schelsky, Helmut, Einsamkeit und Freiheit^ S. 63-87 (insbes. S. 66: „die Umkehr der Triebfedern"). Es ist jedoch offenbar, dafi diese Bestimmung vor allemden Charakter der kantianischen freien Fakultät und deren Verhältnis zu den oberen, praktisch eingerichteten Fakultäten trifft. Der Ausdruck - ..Einsamkeit und Freiheit" - kann, was die kantianische Fakultät anbelangt, fast zu ..Unabhängigkeit nur in Isolation" umformuliert werden. Schelling. Methodc des akadernischen Studiums, S. 241.

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