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Antike nicht weniger als griechische Philosophie - wie auch christliche Kirche darstellen. Darum lagern sich weitere “historische Wachstumsringe der Rechtskulturen”,104 die besonders heute in politisches Kalkül und in politische Planung einbezogen werden müssen. Das Recht erscheint insoweit immer als Element der europäischen Lebenswelt und ihrer Kultursegmente schlechthin; weniger als Instrument der Vereinheitlichung als vielmehr als ein historisches Traditionsphänomen. Der Göttinger Historiker Heeren hob Anfang des . Jahrhunderts als “Folge der fortschreitenden Cultur” die vermehrten “Berührungspuncte” unter den europäischen Staaten hervor, durch die “sich die Völker des christlichen Europas gleichsam moralisch zu Einer Nation” bildeten, “die nur politisch getrennt war”.115 In dieser Beurteilung erscheint das Fehlen der politischen Einheit sogar von minderem Gewicht gegenüber den höherwertigen kulturellen Gemeinsamkeiten.116 Heute hat man manchmal den Eindruck, als ob sich die Vorrangstellung umgekehrt habe, und der zweifellos notwendige politische Antrieb die historischen und vor allem rechtskulturellen Voraussetzungen aus den Augen verloren hat. Im . Jahrhundert gehen politisch- staatliche Einheit und Nationalisierung des Rechts in Europa Hand in Hand, während vor  jedoch Kultur- und Rechtsgeltungsgrenzen keineswegs mit den staatlichen Grenzen identisch waren. Allein in Preußen galten bis in das . 47 114 Vgl. Michael Stolleis, Dienstleistungspflichten? in: RJ 12 (1993), S. 322-325 (323); derselbe, Der Koloß darf nicht nur marschieren. Wer Recht in Europa schafft, muß auch auf dessen nationale Traditionen achten, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. Juni 1998. Gewöhnlich werden epochenspezifisch und wenig aussagefähig römisches Recht, kanonisches Recht, germanisches Recht und Naturrecht als “Elemente ... europäischer Rechtstradition” herausgestellt; vgl. Arno Buschmann, Europäisches Recht in historischer Perspektive, in: Wolfgang Schumacher (Hg.), Perspektiven europäischen Rechts. Ringvorlesung..., Salzburg, Wien 1994, S. 1-25 (3). 115 Arnold Hermann Ludwig Heeren, Handbuch der Geschichte des Europäischen Staatensystems und seiner Colonien von der Entdeckung beyder Indien bis zur Errichtung des Französischen Kayserthrons, Göttingen 1809, S. 7. 116 Vgl. dazu Mohnhaupt, “Europa” (Anm. 1), S. 211; dort mit weiteren Beispielen für rechtskulturelle Gemeinsamkeiten in Europa (S. 207-232).

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