nicht mehr zu erfüllen. Europa ist heute keine einheitssprachliche Kommunikationsgemeinschaft, weil es ein vielsprachiger Kontinent ist und seine Völker in ihren Sprachen als jeweils eigene “Wahrnehmungs- und Verständigungsstrukturen” leben.108 Unzweifelhaft besteht eine Abhängigkeit der Rechtssysteme von ihrer sprachlichen Fassung, denn “Rechtssysteme sind zunächst einmal sprachlich fixierte Normierungen”.109 Trotz der starken Prägekraft der römischen Rechtsdogmatik und der römischrechtlichen Rezeptionsbestände in den nationalen Rechtsordnungen Europas kann heute die “Sprache der Pandektendoktrin” - wie Leopold Wenger noch behauptete - nicht mehr als “juristische Verständigungssprache” unter “den Juristen aller Kulturnationen” dienen. Auf diesem Feld hat das rechtswissenschaftliche Europa sein früheres “einziges Verständigungsmittel”111 verloren, das auch nicht über das Latein wiedergewinnbar erscheint,112 so unbezweifelbar nützlich das Latein für das juristische Studium und den notwendigen “kulturbewußten Geist” auch ist.113 Die vorstehenden Beobachtungen zeigen, daß gemeinsame und divergierende Rechtsentwicklungen in Europa das Bild einer gestuften Rechtskultureinheit in zeitlich unterschiedlichen Schüben entstehen lassen, deren Fundament römisch-kanonisches Recht - also römische 46 108 Kielmansegg, Integration und Demokratie (Anm. 7), S. 55; vgl. zu dieser Problematik auch Thomas Bruha und Hans-Joachim Seeler (Hg.), Die Europäische Union und ihre Sprachen. Interdisziplinäres Symposion zur Vielsprachigkeit als Herausforderung und Problematik des europäischen Einigungsprozesses ... (Schriftenreihe des Europa-Kollegs Hamburg zur Integrationsforschung, Bd. 19), Baden-Baden 1998. 109 Manfred Bierwisch, Recht linguistisch gesehen, in: Rechtskultur als Sprachkultur. Zur forensischen Funktion der Sprachanalyse, hg. von Günther Grewendorf, Frankfurt am Main 1992, S. 47 f., 66. 110 Leopold Wenger, Die Quelle des römischen Rechts (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Denkschriften der Gesamtakademie 2), Wien 1953, S. 2, 9, 33. 111 Wenger, Quellen (Anm. 110), S. 2. 112 Hierzu mit berechtigter Skepsis Marie Theres Fögen, Brüssel, Beirut und Byzanz. Viele Sprachen, ein Recht?, in: RJ 12 (1993), S. 349-363 (351 f.). 113 Alexander Beck, Die Bedeutung des Lateins für das juristische Studium (1960), in: derselbe, Itinera Juris. Arbeiten zum römischen Recht und seinem Fortleben, hg. von Pio Caroni und Josef Hofstetter, Bern 1980, S. 351-355 (352).
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