RSK 4

“für die europäische Rechtskultur” ist ein viel behandeltes Thema.64 Es darf dabei jedoch nicht verkannt werden, daß damit für Gesamteuropa noch kein einheitliches Privatrecht in Geltung war, sondern mit unterschiedlicher Wirkungsintensität eine gemeinsame und einheitlichePrivatrechtswissenschaft bestand.65 Allerdings konnte dieser in unterschiedlichem Umfang als “consuetudo” oder “communis opinio” auch eine Rechtsquellenqualität mit der Verbindlichkeit einer “vis legis” zukommen.66 Somit zeigen sich auch in der Verbreitung und Geltung des römischen Rechts durch die Rezeption in Europa nebeneinander Einheitlichkeit und Vielfalt. Die Rezeption des römischen Rechts war ein vielschichtiger kulturhistorischer und soziologischer Prozeß,67 der zu unterscheiden ist: einmal nach der Übernahme normativer Regelungen, von einzelnen dogmatischen Rechtsinstitutionen und Rechtsfiguren, von System und Methode sowie von Begrifflichkeit und sprachlichem Instrumentarium; zum anderen nach den verschiedenen Formen der Übernahme, nämlich der Vollrezeption, Anpassung, Uminterpretation und schöpferischen Kombination. So bildete das “Corpus iuris civilis” Justinians ein gemeinsames und vielseitig einsetzbares Rechtsfundament in zahlreichen europäischen Ländern, das als “ius commune” jedoch nirgends vollständig und ausschließlich übernommen worden war.68 Der ältere 34 64 Vgl. z.B. Julius G. Lautner (1896-1972), Zur Bedeutung des römischen Rechts für die europäische Rechtskultur und zu seiner Stellung im Rechtsunterricht. Mit einem Nachwort von Max Kaser, hg. von Claudio Soliva und Bruno Huwiler, Zürich 1976; Peter G. Stein, Römisches Recht und Europa. Die Geschichte einer Rechtskultur. Aus dem Englischen von Klaus Luig, Frankfurt am Main 1996. 65 Für die folgenden Ausführungen stütze ich mich auch auf meinen Aufsatz: Europäische Rechts-geschichte (Anm. 1), S. 664 ff. 66 Vgl. z.B. Dissertatio iuridica de consuetudine unde et quando vim legis obtineat? Submittit Gerardus von dem Busch, Goettingae 1752; Georg Adam Struve, De communi doctorum opinione, Jenae 1661. 67 Vgl. Helmut Coing, Europäisches Privatrecht, Band 1: Älteres Gemeines Recht (1500-1800), München 1985, S. 8. 68 Helmut Coing, Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, 1. Band: Mittelalter, München 1973, S. 29.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYyNDk=