RSK 4

Rechtshistorische Beobachtungen können hierzu Beurteilungsmaßstäbe bieten und beispielhafte Aussagen zum “europäischen” Selbstverständnis Europas in früheren Epochen machen. Zeugnisse der Selbstwahrnehmung von Angehörigen “europäischer” historischer Rechtskultur helfen Bewußtseinshaltungen offenzulegen und ihre identitätsstiftende Wirkungen erkennbar zu machen.61 Europa als kulturell - historisches Gebilde ist mehr als nur die Addition europäischer Staaten zur heutigen Europäischen Union. Johann Jacob Moser z.B. sah  in der Ermittlung von rechtlichen Gemeinsamkeiten in Europa ganz bewußt eine vergleichende Arbeitsmethode, die davon ausging, “daß man keinen Staat allein betrachtet, sondern bey jeder Materie allemal alle gegen einander hält und zeigt, was in allen Staaten von Europa dißfalls rechtlich oder üblich seye?”62 Rechtliche und außerrechtliche Elemente bildeten somit gleichberechtigt die “europäischen” Beobachtungsgegenstände. Das Untersuchungsziel bestand darin, für “alle Staaten von Europa ... deren Übereinstimmung oder Abweichung unter sich zu zeigen.”63 Die Möglichkeit der “Übereinstimmung” europäischer Staaten stand für Moser nicht in Frage, jedoch deren Ausmaß und Qualität. Fragt man mit Moser, was in allen europäischen Staaten “rechtlich oder üblich” war, so gehört dazu in erster Linie das römische Recht in der Gestalt des mittelalterlichen “ius commune”. Seine Bedeutung 33 60 Vgl. Jochen Taupitz, Europäische Privatrechtsvereinheitlichung heute und morgen, Tübingen 1993, S. 6 f. 61 In diesem Sinne auch Heyen, Kultur und Identität (Anm. 35), S. 17. 62 Johann Jacob Moser, Anfangs-Gründe Der Wissenschaft von der heutigen Staats-Verfassung Von Europa Und dem unter denen Europäischen Potenzien üblichen Völcker - oder allgemeinen Staatsrecht, 1. Theil, Tübingen 1732, S. 4. 63 Moser, Anfangs-Gründe (Anm. 62), Vorrede § 6. III

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