Auseinanderfallen der Sowjetunion und die Trennung der ehemaligen Tschechoslowakei in die selbständigen Staaten Tschechien und Slowakei bilden Beispiele für die jüngsten integrativen und desintegrativen Entwicklungen in Europa. Prozesse dieser Art beruhen nur vordergründig auf einem staatsorganisatorischen Rechtsakt. Sie sind vielmehr durch tiefer liegende psychologische, kulturelle und historische Tatbestände und gespeicherte Langzeiterfahrungen bedingt. Das Recht selber ist Ausdruck dieser außerrechtlichen Bedingungszusammenhänge und hat deshalb auch seinerseits auf diese beim europäischen Einigungsprozeß Rücksicht zu nehmen, wenn die rechtstechnokratischen Vereinigungsakte nicht Gefahr laufen sollen, substanzlos ins Leere zu laufen. Das Thema ist nicht neu und auch von mir schon in einigen Anläufen umkreist und auf Wunsch des Veranstalters für das Symposion wieder aufgenommen und variiert worden.1 Dazu fordert in der Tat der schwierige aktuelle europäische politische und rechtliche Einigungsprozeß angesichts seiner historischen Dimension heraus. Er zeigt sich heute als ein Prozeß, der in seinen verschiedenen Teilbereichen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit abläuft. Im Bereich von Wirtschaft, Finanzen und Politik ist er noch am weitesten vorangeschritten. Das Recht zieht nach und versucht seinerseits die europäische Gemeinschaft vorwärts zu treiben, ohne dabei jedoch die 19 1 Heinz Mohnhaupt, Zum Verhältnis von Region und “ius particulare” in Europa während des 16. bis 18. Jahrhunderts, in: L’Europa e le sue regioni, a cura di Enzo Sciacca, Palermo 1993, S. 226-238; derselbe, “Europa” und “ius publicum” im 17. und 18. Jahrhundert, in: Aspekte europäischer Rechtsgeschichte. Festgabe für Helmut Coing zum 70. Geburtstag (Ius Commune, Sonderheft 17), hg. von Christoph Bergfeld u.a., Frankfurt am Main 1982, S. 207-232; derselbe, Europäische Rechtsgeschichte und europäische Einigung. Historische Beobachtungen zu Einheitlichkeit und Vielfalt des Rechts und der Rechtsentwicklungen in Europa, in: Recht-IdeeGeschichte. Beiträge zur Rechts- und Ideengeschichte für Rolf Lieberwirth anläßlich seines 80. Geburtstages, hg. von Heiner Lück und Bernd Schildt, Köln/Weimar/Wien 2000, S. 657-679; auf diese Beiträge wird auch im Folgenden mehrfach bezug genommen.
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