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die Mutter der Erfindung genannt werden kann, war der Irrtum der Schulphilosophie eine beitragende Ursache zu Kants reflexionstheoretischem Vernunftstandpunkt, denn dadurch wurde “die Quelle der Irrthümer” - der Dogmatismus - “verstopft”7. Die Geschichte der kantianischen Revolution der Philosophie kann also sowohl mit Betonung des Erfolges als auch mit der des Irrtums erzählt werden. Aus erzähltechnischem Gesichtspunkt sind die Erfolge die natürlichen Ruhepunkte und - das ist vielleicht die Hauptsache - das glückliche Ende der Erzählung. Gleichzeitig erfordert die Logik der Erzählung, daß jeder glückliche Schluß wohlverdient zu erscheinen hat. Erst nachdem der Held oder die Heldin unzählige Gefahren, Mühen und Mißerfolge, das Ziel zu erreichen, überstanden hat, erfüllt das Ende seine Funktion. Außerdem treibt das Versagen die Handlung nach vorne: Der Held verpaßt den Absprung und fällt scheinbar hilflos auf den Grund des Schachtes. Der Hörer ahnt zwar, daß der Held im nächsten Kapitel mit den Zeigefingern an einem Ast hängend wieder aufgefunden werden wird, aber sicher kann er sich seiner Sache nicht sein. Die Spannung und damit das Interesse des Beobachters für das Geschehen werden durch solche cliff-hangers garantiert - scheinbar unlösbare Probleme finden ihre unerwartete und revolutionierende Lösung. Meiner Meinung nach gibt es keinen Grund anzunehmen, daß sich die wissenschaftliche Erzählung auf entscheidende Weise von der dramaturgischen Logik der Kunst unterscheide. Die Wirklichkeit übertrifft in dieser Hinsicht wohl eher die Kunst. In Kants kopernikanischer 173 6 Siehe, soweit diese Fragestellung betrifft, Sandström, Marie, Das dogmatische Verfahren als Muster der rechtswissenschaftlichen Argumentation, in Entwicklung der Methodenlehre in Rechtswissenschaft und Philosophie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Schröder (Hrsg.), S. 191-203, Stuttgart 1998. 7 Kant, op. cit ., S. 15.

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