Wolfgang Sellert 250 hängigkeit des Richters verstärkt diskutiert.^® Hier wird die i n n e r e Unabhängigkeit in den Vordergrund gestellt.^" Sie scheint beeinträchtigt durch die angeblich dominierende Stellung des Vorsitzenden im Kollegialgericht und den durch Aufstiegsinteressen motivierten Richter;^® ferner durch „gruppen- und schichtenspezifische Vorverständnisse, die der Richter aufgrund seiner Herkunft und Sozialisation in sein Amt eingebracht“ hat.®** Mit der am 21.12.1877 zusammen mit dem Gerichtsverfassungsgesetz verabschiedeten Strafprozefiordnung wurde das vom Liberalismus bekämpfte gemeinrechtliche Inquisitionsverfahren reichseinheitlich iiberwunden. Der InquisitionsprozeB war gekennzeichnet durch eine iiberwiegend rechtlose Stellung des Beschuldigten.^® Voraussetzung fiir eine Verurteilung war das Geständnis, das oft genug mit physischer Gewalt erzwungen wurde. „Wo“, so hat Goethe treffend imEgmond geschildert, „nichts heraus zu verhören war, da verhörte man hinein“.^^ Auf diese Weise blieb die Maxime des Inquisitionsprozesses, die Wahrheitserforschung, eine äuBerst fragwiirdige Angelegenheit, zumal der Richter Anklager, Verteidiger und Urteiler in einer Person war und das gesamte Verfahren schriftlich, das heiCt heimlich, durchgefiihrt wurde. Die ReichsstrafprozeBordnung von 1877 fiihrte im gesamten Bismarckreich in Anlehnung an englische und französische Vorbilder den AnklageprozeB ein.'*'^ Sie trennte also Urteils- und Anklagefunktion und schuf damit mehr Objektivität fiir die richterliche Entscheidungsfindung. Das Geständnis als conditio sine qua non fiir die Verurteilung wurde aufgegeben. Die Verteidigungsrechtedes Beschuldigten wurden gesichert, undeineVerhaftung durfte nur noch aufgrund eines schriftlichen Haftbefehls des Richters erfolgen.'*® Schon bald nach Inkrafttreten der StrafprozeBordnung wurden Änderungen und Erganzungen vorgenommen. Ihre ungeheuere Vielzahl spiegeln ,,die Unruhe und Wirrnisse des staatlich-politischen Lebens in Deutschland“ wieder.^® Aber bis zu den Neuerungen seit 1933 bewegten sich diese Reformen stets innerhalb der Grundsatze des liberalen RechtsSo z.B. D. Simon, Die Unabhängigkeit des Richters, 1975, S. 10 ff. D. Simon, a.a.O.; ferner H. Kramer, in: Handlexikon zur Rechtswissenschaft Sp. 117 ff., 120 f. D. Simon, a.a.O., S. 21 ff. H. Kramer, a.a.O., Sp. 100. Zur hist. Entwicklung H. Schlosser, in: HRG Bd. II, Sp. 378 ff. ^Inquisitionsprozc6“. Vgl. die treffende Beschreibung der Inquisitionsmethode in Goethes „Egmont“, 4. Aufzug. §§ 133 ff. StPO a.F. « §103 StPO a.F. Ubersicht bei H. Henkel, Strafverfahrensrecht, 1. Aufl. (1953), S. 50 ff. H. Henkel, a.a.O., 2. Aufl. (1968), S. 59.
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