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Der Weg zur einheitlichen Rechtspflege in Deutschland Von Professor Dr. WolfgangSellert, Göttingen In den ersten beiden Monaten des Jahres 1877 wurden in Deutschland die sogenannten Reichsjustizgesetze veröffentlicht. Damit wurde auf den Gebieten der Gerichtsverfassung, des Straf- und ZivilprozeBrechts sowie des Konkursrechts die Rechtseinheit begriindet.^ Die Leistung dieses Reformwerks wird deutlich, wenn man sich klar macht, in welch einem zersplitterten Rechtszustand sich Deutschland vor 1877 befand. Der Heidelberger Rechtsgelehrte Anton Friedrich Justus Thibaut hat die Situation 1814 treffend mit den Worten umschrieben: Das einheimische Recht ist „ein endloser Wust einander widerstreitender, vernichtender und scheckiger Bestimmungen, ganz dazu gearbeitet, die Deutschen voneinander zu trennen und den Richtern und Anwälten die griindliche Kenntnis des Rechts unmöglich zu machen“.^ Diese Vielfalt des Rechts war die Folge eines langen Kampfes zwischen Kaiser und Territorien, zwischen Einheitsgedanke und Partikularismus, in dem der Partikularismus zunächst gesiegt hatte. Den deutschen Kaisern war es trotz eines 300jährigen Bemiihens nicht gelungen, auch nur ein einziges fur das Heilige Römische Reich Deutscher Nation verbindliches Gesetz zu schaffen. Auch ^ Zum hundertjährigen Bestehen der Reichsjustizgesetze erschienen seit 1977 eine Reihe von wurdigenden Beiträgen: P. Landau, Die Reichsjustizgesetze und die deutsche Rechtseinheit, in: Vom Reichsjustizamt zum Bundesministerium der Justiz, 1977, S. 161 ff., bespr. V. W. Sellert in: NJW1979, S. 1974 ff.; Schubert, Die unveröffentlichten Quellen zu den Reichsjustizgesetzen, in: JZ 1978, 98 ff.; O. R. Kissel, 100 Jahre Gerichtsverfassungsgesetz, in: NJW1979, S. 1953 ff.; I. Muller, 100 Jahre Wahrheit und Gerechtigkeit, in: Krit. J. 1977, S. 11 ff.; W. Sellert, Die Reichsjustizgesetze von 1877 — ein gedenkwiirdiges Ereignis?, in: JuS 1977, S. 781 ff. - A. F. J. Thibaut, Ueber die Nothwendigkeit eines allgemeinen biirgerlichen Rechts fiir Deutschland, 1814, S. 14.

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