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Die DEUTSCHE Rechtswissenschaft 243 waren meist in der schon damals abundanten rechtswissenschaftlichen Literatur nicht unbewandert."^ Ebensowenig fehlte es, trotz der Tendenz der Zeit zum Theoretisieren, an die Belange der Praxis beriicksichtigender Literature® Dazu sind insbesondere eine Reihe von Zeitschriften zu zählen wie zum Beispiel das 1818 ins Leben gerufene „Archiv fiir die civilistische Praxis” oder das 1847 von Seuffert begriindete „Archiv fur Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten”. Je weiter das Jahrhundert fortschritt, desto mehr verstärkten sich die Bemiihungen umdie gegenseitige Verschränkung von Theorie und Praxis. Das Inkrafttreten des BGB am 1.1.1900 endlich brachte den Durchbruch zu vollkommen gleicher Ausrichtung theoretischer und praktischer juristischer Arbeit. Ein Unterschied in der Arbeitsweise ist —von den besonderen Anforderungen abgesehen, die Lehre und Fallentscheidungen als solche stellen — heute nicht mehr vorhanden. Auch der selbst nicht praktisch tätige Jurist verliert in der Regel den praktischen Bezug seiner Untersuchungen nie aus den Augen, während sich die Praktiker in ihren schriftstellerischen AuBerungen dankenswerterweise imRahmen der allgemein anerkannten Dogmatik halten. Die Rechtswissenschaft ist somit, obwohl sie das Primat iiber die Praxis verloren hat, nicht etwa ärmer, sondern im Gegenteil durch Einbeziehung der Praxis reicher geworden. Indes, die neue Lage bringt auch neue Probleme. So vor allem die Gefahr einer die systematischen Zusammenhänge aus den Augen verlierenden Einzelfallgerechtigkeit. Sie wird durch die fiir das 20. Jahrhundert typische Aufsplitterung in eine Unzahl von SonderSavigny sprach schon 1814 von „unsren schreibtatigen Zeiten“ (Beruf, S. 19), und Thibaut berichtete in seiner Riickschau „Uber die sogenannte historische und nichthistorische Rechtsschule“, in: Archiv fiir die civilistische Praxis, Bd. 21, 1838, S. 391—419, er habe zuletzt alle anderen Nebengeschafte aufgegeben, um auf der Höhe der neueren juristischen Literatur bleiben zu können (Thibaut und Savigny (Anm. 6), S. 287). Vgl. dazu vor allem — neben Wesenbergs in Anm. 73 genannten Beitrag — die schon genannte Untersuchung von Reimund Scheuermann, Einfliisse der historischen Rechtsschule auf die oberstrichterliche gemeinrechtliche Zivilrechtpraxis bis zum Jahre 1861, 1972. Weitere Forschungen auf diesem Gebiet waren dringend notwendig. Vgl. Erich Döhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege seit 1500, 1953, S. 328—358, passim. Zur literarischen Behandlung der groBen deutschen Partikulargesetze jetzt Sten Gagnér, Die Wissenschaft des gemeinen Rechts und der Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis, in: Wissenschaft und Kodifikation I (oben, Anm. 2 am Ende), S. 1—118, und Wolfgang Wagner, Die Wissenschaft des gemeinen römischen Rechts und das Allgemeine Landrecht fiir die PreuBischen Staaten, ebendort, S. 119—152. Gagnér weist aaO. auch des öfteren auf die Beziige namentlich der Germanistik zur Praxis hin. Eine besonders hervorragende Rolle spielte dabei Karl Joseph Anton Mittermaier (1787— 1876), der Mitbegriinder des im Text genannten Archivs fiir die civilistische Praxis. Vgl. zu Mittermaier vor allem Stintzing—Landsberg III 2 Text, S. 413 bis 437.

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