Gunter Gudian 232 sondern geht ganz im Gegenteil von Anfang an von der Konstruierbarkeit eines allumfassenden rechtlichen Systems aus.^^ Nur läBt sich seines Erachtens dieses System nicht in ein Gesetz zwangen, sondern muB auBerhalb der Gesetzgebung von der Wissenschaft erarbeitet und angeboten werden. Die Gesetzgebung kann daher nur dann die in sie gesetzten Erwartungen befriedigen, wenn ihr die Wissenschaft in der genannten Weise zu Hilfe kommt; eine Wissenschaft, die auf dieser Höhe steht, habe aber auf der anderen Seite Gesetze nicht nötig.^® Savigny läBt sich zwar expressis verbis nicht dariiber aus, ob das von ihm als Ziel anvisierte Systemzeitgebunden und somit historischem Wandel unterworfen oder zeitlos sei. Man muB dies aber in Beziehung zu der von ihm propagierten „historischen Methode der Rechtswissenschaft“ setzen.^' Er spricht dort von den „Wurzeln“, bis auf die man jeden gegeben Stoff zuriickverfolgen miisse, wobei unter diesen Wurzeln auch das römische Recht figuriert. Die folgenden Worte „und so sein organisches Prinzip zu entdecken“ können sich zwar sowohl auf das Zuriickverfolgen wie auf die Wurzeln beziehen. Da er dann aber wieder sagt, daB man durch dieses Zuriickverfolgen erfahre, was noch Leben habe und was inzwischen abBeruf, S. 21 f.: „Das Gesetzbuch niimlich soli, da es einzige Rechtsquelle zu sein bestimmt ist, auch in der Tat fiir jeden vorkommenden Fall im voraus die Entscheidung enthaiten. . . . Allein wer mit Aufmerksamkeit Rechtsfälle beobachtet hat, wird leicht einsehen, daB dieses Unternehmen deshalb fruchtlos bleiben muB, weil es fiir die Erzeugung der Verschiedenheiten wirklicher Fälle schlechthin keine Grenze gibt. Auch hat man gerade in den allerneuesten Gesetzbiichern alien Schein eines Bestrebens nach dieser materiellen Vollständigkeit völlig aufgegeben, ohne jedoch etwas anderes an die Stelle derselben zu setzen. Allein es gibt allerdings eine solche Vollständigkeit in anderer Art, wie sich durch einen Kunstausdruck der Geometric klar machen läBt“ usw. Savigny meint damit das rechtliche System, d.h. „den innern Zusammenhang und die Art der Verwandtschaft aller juristischen Begriffe und Sätze.“ Diese zu erkennen, sei die eigentliche Aufgabe der Wissenschaft (noch S. 22). Vgl. dazu auch Larenz, Methodenlehre (Anm. 5), S. 11—19. Ähnliche Gedanken waren auch schon vor 1814 von anderen vertreten worden, z.B. 1806 von Gönner, vgl. Gagnér (Anm. 22), s. 16. Beruf, S. 26: Fiir die den genannten Erfordernissen geniigende Gesetzgebung bleibe somit „nur eine mittlere Zeit iibrig, diejenige, welche gerade fiir das Recht, obgleich nicht notwcndig auch in anderer Rucksicht, als Gipfel der Bildung gelten kann. Allein eine solche Zeit hat fiir sich selbst nicht das Bediirfnis eines Gesetzbuchs.“ Beruf, S. 117 f.: „Dasjenige also, wodurch nach dieser Ansicht das gemeine Recht und die Landesrechte als Rechtsquellen wahrhaft brauchbar und tadellos werden sollen, ist die strenge historische Methode der Rechtswissenschaft. . . . Ihr Bestreben geht . . . dahin, jeden gegebenen Stoff bis zu einer Wurzel zu verfolgen, und so sein organisches Prinzip zu entdecken, wodurch sich von selbst das, was noch Leben hat, von demjenigen absondern muB, was schon abgestorben ist und nur noch der Geschichte angehört. Der Stoff aber der Rechtswissenschaft, welcher auf diese Weise behandelt werden soil, ist fiir das gemeine Recht dreifach, woraus sich drei Hauptteile unsrer Rechtswissenschaft ergcben: Römisches Recht, Germanisches Recht und neuere Modifikationen beider Rechte.""
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