Die DEUTSCHE Rechtswissenschaft 231 somit abgeschlossen.^- Von dieser Sicht der Dinge aus ging es nun in der Tat nicht mehr darum, aus der bisherigen Entwicklung auf die zukiinftige Vollendung des Rechts zu schlieBen, sondern es aus den Quellen, die es in schon höchstmöglicher Vollendung enthielten, herauszuarbeiten, und zwar besser, als bis dahin je geschehen war. Man liest immer wieder, Savigny hätte sich damit eigentlich „prograiTimwidrig“ verhalten.'^^ Nun wurde zwar von vielen (nicht von alien), die an geschichtliche Entwicklungsgesetze glaubten, angenommen, diese Entwicklung verlaufe gradlinig und schreite stetig voran. Indes sind die beiden letztgenannten Axiome (gradliniger Verlauf und stete Weiterentwicklung) nicht notwendigerweise miteinander verbunden. Gerade die von der Historischen Schule so häufig bemiihte Metapher von der sich aus dem Samenkorn entwickelnden Eiche oder der aus der Knospe hervorgehenden Rose beinhaltet ja schon die Idee der Vollendung der Entwicklung; daB diese Vollendung nur in der Zukunft liegen könne, folgt daraus nicht. Auch Savigny behauptet dies nirgends. Seine dafiir meist ins Feld gefiihrte Argumentation gegen den Wert von Gesetzen gibt in Wahrheit nichts her. Er setzt nicht etwa, wie manchmal behauptet wird, das dynamische, d.h. stets sich weiterentwickelnde Recht in Gegensatz zum statischen Gesetz, Savigny wchrte sich zwar im System des heutigen römischen Rechts gegen den Vorwurf bloCer „Nachahmung oder Wiederholung des von den Römern hervorgebrachten Rechtszustandes*' mit dem Hinweis darauf, daC die eigene Zeit zu noch Höherem berufen sei: ,.Bei dem groBen und mannigfaltigen Rechtsstoff, den uns die Jahrhunderte zugefiihrt haben, ist unsre Aufgabe ohne Vergleich schwieriger, als es die der Römer war, unser Ziel also steht höher, und wenn es uns gelingt, dieses Ziel zu erreichen, so werden wir nicht etwa die Trefflichkeit der Römischen Juristen in bloBer Nachahmung wiederholt, sondern weit GröBeres als sie geleistet haben" (Bd. I, S. XXX f.). Indes bezieht sich dicse captatio benevolentiae lediglich auf die wissenschaftliche Leistung, nicht auf das objektive Recht, und wird zudem durch Aufstellung einer praktisch unerfiillbaren Bedingung weitgehend relativiert: „Wcnn wir gelernt haben werden, den gegebenen Rechtsstoff mit derselben Freiheit und Herrschaft zu behandeln, die wir an den Römern bewundern, dann können wir sie als Vorbilder entbehren und der Geschichte zu dankbarer Erinnerung vibergeben. Bis dahin aber wollen wir uns ebensowenig durch falschcn Stolz als durch Bequemlichkeit abhalten lassen, ein Bildungsmittel zu benutzen, welches wir durch eigene Kraft zu ersetzen schwerlich vermögen wiirden" (S. XXXI). Vgl. z.B. Scheuermann (Anm. 12), S. 9: „Entgegen ihrem Programm, das theoretisch von einer fortlaufcndcn Kontinuitat der Rechtsentwicklung ausging und somit die gleichmäBige Beachtung aller Rechtsepochen erforderte, bekämpfte die historische Rechtsschule die ihr vorangegangenen wissenschaftlichen Richtungen des Naturrechts und des Usus modernus pandectarum und suchte deren EinfluB auf Theorie und Praxis zu verdrängen." Ähnlich Bake (Anm. 17), S. 105 f. Grundlage dieser Meinungen diirfte vor allem Landsberg in Stintzing—Landsberg III 2 Text, S. 208 f., sein, der Savignys Lehre u.a. als „evolutionistisch“ (und zwar gleichbleibend evolutionistisch) einstuft (S.208), um dann — insofern konsequent — festzustellen, daB man „dieser evolutionistischen Anschauung . . . keine fur ihn maBgebende Bedeutung zulegen" diirfte (S. 209).
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