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230 Gunter Gudian dafur sind schon oft dargelegt wordeii. Im Gegensatz zu den Germanisten sah Savigny ab einer gewissen Entwicklungsstufe nicht mehr im gesamten Volk, sondern nur noch im Juristenstand den Träger rechtlicher Tradition.^® Die Juristen aber hatten mit der Rezeption des römischen Rechts die antiken Errungenschaften zu einem Bestandteil der eigenen nationalen Rechtskultur gemacht. Savigny sah das römische Recht somit nicht als fremdes, sondern als zum eigenen nationalen Recht gehörig an. Da die Rezeption des römischen Rechts indes ein ubernationaler Vorgang gewesen war und die meisten europäischen Länder ergriffen hatte, war damit die gemeinsame Basis mit den Germanisten im Grunde schon verlassen. Er teilte ferner nicht nur mit dem Humanismus, sondern mit weit iiber einem Jahrtausend abendländischer Kultur die Uberzeugung, daB die Antike und insbesondere die römischen Juristen in ihren uns hinterlassenen Quellen MaBstäbe gesetzt hatten, die in der Folgezeit nie wieder erreicht, geschweige denn iiberboten worden wären.^“ Fiir ihn konnte es daher nur eines geben: Dieses Ideal wieder zu erreichen. Das aber konnte nur durch das Studium der antiken Quellen selber geschehen. Infolge dieses seines Vorverständnisses war die gesamte spätere Rechtsentwicklung einschlieBlich der zu seiner Zeit geltenden Kodifikationen fiir Savigny dekadent und somit wissenschaftlich irrelevant.^^ Die von ihm im Programni der Historischen Schule beschworene geschichtliche Entwicklung hatte, um es änders auszudriicken, schon längst ihren absoluten Höhepunkt erreicht und war Beruf, S. 12: ,,Bei steigender Kultur nämlich sondern sich alle Tätigkeiten des Volkes immer mehr, und was sonst gemeinschaftlich betrieben wurde, fällt jetzt einzelnen Ständen anheim. Als ein solcher abgesonderter Stand erscheinen nunmehr auch die Juristen. Das Recht . . . nimmt eine wissenschaftliche Richtung, und wie es vorher im BewuBtsein des gesamten Volkes lebte, so fällt es jetzt dem BewuBtsein der Juristen anheim, von welchen das Volk nunmehr in dieser Funktion repräsentiert wird.“ Beruf, S. 118: „Das Römische Recht hat, wie schon oben bemerkt worden, auBer seiner historischen Wichtigkeit noch den Vorzug, durch seine hohe Bildung als Vorbild und Muster unsrer wissenschaftlichen Arbeiten dienen zu können.“ Die von Savigny nach 1814 zunächst in Angriff genommene umfangreiche und eingehende „Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter“ (erschienen zwischen 1815 und 1831) sollte „die Quellenwidrigkeit der mittelalterlichen Anbauten des römischen Rechts und damit seine Entartung in der mittelalterlichen Uberlieferung beweisen“ (FIans Schlosser, Grundziige der Neueren Privatrechtsgeschichte, 3. Aufl. 1979, S. 74). Die Verwurzelung dieser Haltung im zeitgenössischen Klassizismus (auch „zweiter Humanismus“ genannt) recht gut bei WiEACKER, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit (oben. Anm. 2), S. 365 f. Dies betonte insbesondere Otto v. Gierke, Die historische Rechtsschule und die Germanisten, 1903 (Neudruck 1973), S. 14. Der Germanist Gierke wertete Savignys ablehnende Haltung gegen jede spätere Umgestaltung des quellenmäBigen römischen Rechts als Kampfansage gegen den durch diese Umgestaltung „in langer Geistesarbeit in das fremde Recht eingewebten germanischen Einschlag". Die Unvereinbarkeit der beiden Standpunkte wird hier iiberdeutlich.

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