Die DEUTSCHE Rechtswissenschaft 227 Historischen Schule und ihren Gegnern bestehende „Verstimmung“ sei „mehr von persönlichen Gefiihlen als von wissenschaftlichen Gegensatzen ausgegangen“; der ganze „Parteienstreit“ und die „darauf beziiglichen Parteinamen“ seien eigentlich iiberholtd'* Hier eine scharfere Zasur in der wissenschaftlichen Tradition vorzunehmen, wie dies heute verschiedentlich getan wird, erscheint indes angesichts der im folgenden darzulegenden Kontinuität zwischen den Vorstellungen Savignys und den die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts beherrschenden Lehren wenig gerechtfertigt. Schon Savigny wehrte sich gegen die Unterstellung, er habe 1814 etwas anderes vertreten als 1840: „Eine Sinnesanderung des Verfassers kann hierin nicht gefunden werden, da derselbe diese Ansichten groBenteils schon seit dreiBig bis vierzig Jahren öffentlich vorgetragen hat“.^^ Die von Savigny fiir wesentlich erklärten Forderungen der Historischen Schule — verstärkte wissenschaftliche Erfassung des Rechts auf dem Weg iiber das Studium rechtsgeschichtlicher Quellen — aber waren inzwischen allgemein als verbindlich anerkannt. Damit wurde freilich das Schwergewicht rechtswissenschaftlicher Betätigung fiir den Rest des Jahrhunderts auf die Theorie verlagert. Eine Abwertung der Praxis war an sich nicht beabsichtigt. Man war davon iiberzeugt, daB auch und gerade die Praxis vom Ausbau der theoretischen Grundlagen profitieren wurde und bezelchnete die Verbesserung der Praxis als Ziel aller theoretischen Arbeit.Trotzdem trat sie zunächst etwas zuriick. Die mangelhafte Abstimmung zwischen Theorie und Praxis machte sich vor alien im akademischen Unterricht bemerkbar. Die Klagen iiber eine schlechte Ausbildung der jungen Juristen waren im 18. Jahrhundert ebenso an der Tagesordnung wie im 19.^^ Die Verbesserungsvorschläge forderten System dcs heutigen römischen Rechts I, 1840, S. XIII—XVI. DaB es dennoch wichtige Unterschiede in Arbeitsweise und Ergebnissen zwischen Thibaut und Savigny gegeben habe, versucht u.a. Going darzutun; aber auch insoweit stehe „Savigny durchaus in einer langen Tradition'* (Helmut Going, Savigny und die deutsche Privatrechtswissenschaft, in: Neue Juristische Wochenschrift 1979, S. 2018—2021, hier S. 2019). Ibidem, S. XVI oben. So z.B. Savigny selbst im Beruf, S. 126 f.: „Aber diese Gemeinschaft unserer Wissenschaft soil nicht bloB unter den Juristen von gelehrtem Beruf, den Lehrern und Schriftstellern, stattfinden, sondern auch unter den praktischen Rechtsgelehrten. Und eben diese Annaherung der Theorie und Praxis ist es, wovon die eigentliche Besserung der Rechtspflege ausgehen muB, und worin wir vorzuglich von den Römern zu lernen haben: Auch unsere Theorie muB praktischer und unsere Praxis wissenschaftlicher werden, als sie bisher war." In Bezug auf die Forderung nach stärkerer Beriicksichtigung auch der Praxis durch die Theorie war dies allerdings ein bloBes Lippenbekenntnis. Savigny war ebenso wie seine Schuler (und viele andere) vom Primat der Theorie iiberzeugt, vgl. Scheuermann (Anm. 12), S. 1 f. Vgl. zum 18. Jahrhundert Uwe Bake, Die Entstehung des dualistischen Systems der
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