Bernhard Diestelkamp 220 werden diirfe. Dies entsprach der Auffassung, die allgemein der Staatsgewalt eine lediglicli reaktiv-lenkende Funktion zuschrieb. Dock im Laufe des 19. Jahrhunderts stellte sich in steigendemMaBe heraus, daB die meisten Staatsbiirger keineswegs in der Lage waren, ihre Bedurfnisse allein zu befriedigen, daB vielmehr der Staat ausgleichend und leistend tätig werden muBte. So entstand gegen Ende des 19. Jahrhunderts neben der klassischen Eingriffsverwaltung die Leistungsverwaltung, die in der Kriegsverwaltungswirtschaft des 1. Weltkrieges ihre erste Perfektionierung erfuhr. Seitdem ist es unbestritten, daB die Staatsgewalt auch leistend und gewährend tätig werden muB, was konsequenterweise auch auf die Gesetzgebung iibergriff.^^ Probleme der Entschädigung fiir Kriegsschäden, die den Reichstag schon nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 beschaftigt hatten, traten nach dem Ende des 1. Weltkrieges in verstärkteni Umfang auf. Sie wurden auch vom Reichstag gesetzgeberisch angegangen, wobei es sich gerade nicht nur um eingreifende, sondern um gewahrende Gesetze handeln muBte. Doch erst die totale Zerstörung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft durch das Dritte Reich und den 2. Weltkrieg forderten den deutschen Gesetzgeber zu einer umfangreichen Gewährungsgesetzgebung heraus, durch die endgiiltig auch theoretisch die Barriere fiel, durch die die Gesetzgebung auf Eingriffsregulierungen beschränkt und Leistungsgewahrungen ausgeschlossen werden sollten — oder durch die die vorhandenen leistungsgewährenden Gesetze bestenfalls als Irregularitäten erschienen. Noch gravierender als dieser Wandel ist die Abkehr von dem klassischen Grundsatz, daB ein Gesetz abstrakt-generell sein miisse.®^ Dabei meint „generell“, daB es fiir alle oder doch fiir eine unbestimmte Vielzahl von Fallen gelten muB, was durch die „abstrakte“ Formulierung des Rechtsstatzes gewahrleistet werden soil. Von Anfang an gab es von diesem Grundsatz die Ausnahmen des Budgets oder Haushaltsplanes, die immer als formelles Gesetz behandelt wurden, obwohl das Budget lediglich ein verfassungsrechtlich normierter Sönderfall mit konkreter Formulierung des Inhalts fiir jedes Haushaltsjahr war und ist. Die Weimarer Reichsverfassung band zusätzlich noch Kriegserklärung und FriedensschluB an die Gesetzesform,®^ umdie Mitwirkung des Parlaments bei diesen existentiell wichtigen Akten zu erzielen. Das Bonner Grundgesetz schlieBlich fordert fiir Kreditaufnahmen des Bundes eine gesetzliche Ermächtigung durch den Bundestag,®- womit wiederum von der Verfassung selbst der Grundsatz der All- ■® Vgl. Schmidt (wie Anm. 8), S. 144 ff. Vgl. Schmidt (wIe Anm. 8), S. 145 f.; Denninger (wie Anm. 57), Bd. 1, S. Ill ff. 81 Artikel 45 Abs. I WRV. 82 Artikel 115 GG. 80
RkJQdWJsaXNoZXIy MjYyNDk=