218 Bernhard Diestelkamp Er wurde immer seltener einberufen, und dann nur als Akklamationsorgan und Forum fiir politische Propagandareden Hitlers. Schon diese Verfahrensweise widersprach dem Geist der Weimarer Verfassung. Endgiiltig wurde diese verfassungswidrige Tendenz aber hypertrophiert dadurch, daB schlieBlich nicht nur Regierungsverordnungen oder Erlasse des Fuhrers und Reichskanzlers als Gesetz galten, sondern daB sogar sogenannten „Fuhrerbefehlen“, die nicht publiziert waren, Gesetzescharakter beigelegt wurde."^ Der in der deutschen Verfassungstradition und Staatsrechtslehre entwickelte und tradierte Gesetzesbegriff wurde dadurch vollends zersetzt und seines alten Charakters entkleidet. Die geschilderte Entwicklung spiegelt sich deutlich wieder bei der Auswertung des Reichsgesetzblattes.^^ Im Jahre 1920, in der Not der ersten Nachkriegszeit, entfallen nur 17 ®/o der darin enthaltenen Publicanda auf die Kategorie des formellen Gesetzes. Das Ansteigen dieses Anteils auf 33 ®/o im Jahre 1925 ist ein Indiz fiir die scheinbare Normalisierung des parlamentarisch-demokratischen Systems in Deutschland. Doch schon im Jahre 1930 ging dieser Anteil wieder auf 22 ®/o zuriick, um nach der Entmachtung des Reichstages imStichjahr 1935 auf 18 ®/o zuriickzufallen. Schon jetzt vollzog sich die Normsetzung in Gestalt von Regierungsverordnungen, Fiihrererlassen und in anderen Formen. DaB schlieBlich im Kriegsjahr 1940 nur noch 2,6 ®/o der Publicanda des Reichsgesetzblattes sich selbst noch als Gesetz bezeichnen, erscheint als absolut folgerichtig. Die Diktatur hatte imZeichen des Krieges alle traditionellen Rechtsgrundsätze auch auf dem Gebiet der Gesetzgebung iiber Bord geworfen. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland von 1949 löste den traditionellen Kompetenzkonflikt zwischen Legislative und Exekutive auf dem Gebiet der Gesetzgebung insofern konsequent, als es nun wirklich fiir das Parlament als der gewählten Vertretung des Souveräns ,Volk‘ die Vgl. Schulz (wie Anm. 37), Bd. 2, S. 64 ff. 74 Verordnungen Bekanntmachungen Gesetze 1920 117 1925 124 306 174 146 156 1930 98 155 193 1935 153 1940 29 570 236 927 138 Fiihrererlasse 16 1935 23 1940 Seit 1922 wird das Gesetzblatt unterteilt in zwei Teile. Beide Teile wurden beriicksichtigt.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjYyNDk=