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Die DEUTSCHE Reichsgesetzgebung beschlossen zu werden, sondern konnten auch als Regierungsverordnungen ergehen. Damit zielt aber die scheinbar rein juristische Differenzierung inhaltlich auf die Lösung des Kompetenzkonfliktes zwischen Parlament und Exekutive auf deni Gebiet der Gesetzgebung, was schon Georg Jellinek sah und deutlich aussprach,^^ Die Staatsrechts- wie die Rechtsquellenlehre in Deutschland muBten eben den vorgefundenen Zustand juristisch handhabbar machen, daB allgemeine, abstrakte Normen auch von der Exekutive gesetzt wurden, wofiir die Unterscheidung zwischen dem Gesetz im formellen Sinne und demmateriellen Gesetz das Handwerkszeug lieferte. Betrachtet man die im Reichsgesetzblatt verkiindeten Rechtssetzungsakte unter diesem Aspekt, so erscheint das Verhaltnis der parlamentarischen zur exekutivischen Gesetzgebung zahlenmäBig auf den ersten Blick ausgewogen. Der Anteil der Verordnungen bleibt im Kaiserreich im Verhältnis zu den Gesetzen immer geringer als 50 Das Bild verändert sich allerdings, wenn man alle Publicanda des Reichsgesetzblattes als MaBstab nimmt. Dann schwankt der Anteil der formellen, vom Reichstag erlassenen Gesetze im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zwischen 27 °/o und 36 %, um dann im Jahre 1900 auf 27 ®/o und im Jahre 1910 sogar auf 17 °/o abzusinken. Sicherlich bediirfte es fur substantiellere Aussagen einer näheren inhaltlichen Analyse der Kategorie der sonstigen „Bekanntmachungen“, um festzustellen, ob sie wirklich alle materielle Gesetze im Sinne der staatsrechtlichen Definition waren. Doch im vorliegenden Diskussionszusammenhang läBt sich am rapiden Ansteigen dieser Kategorie von 37 “/o imJahre 1870 auf 65 ®/o imJahre 1910 jedenfalls demonstrieren, 215 Zitat nach Schmidt (wie Anm. 8), S. 141: „Die hervorragendste Bedeutung der Unterscheidung von formellem und materiellem Gesetze liegt aber darin, daC sie allein den Weg welst zu einer Lösung elnes der schwierigsten Probleme des constitutionellen Staatsrechts, der Abgrenzung der Competenz, der constitutionellen Gesetzgebung von der Verordnungs- und Verfiigungsgewalt der Reglerung». Vgl. Heinrich Oberreuter, Krise der Gesetzgebung? Bemerkungen zur legislatorischen Kompetenz des Parlaments. In: Politische Studien 25, 1974, S. 5 ff. Nicht beriicksichtigt sInd Rechtssetzungsakte der Mlnisterien, die in den jeweiligen Ministerlalblättern verkiindet wurden. 61 Bekanntmachungen Gesetze Verordnungen 1867 13 9 1870 27 21 37 1875 25 14 20 1880 13 11 15 1885 19 9 20 1890 18 17 14 1895 21 10 47 1900 27 26 41 1905 24 5 50 1910 22 4 86 1915 14 9 389

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