die höchsten gerichte und rechtliche zeitgeschichte: ausgangslage lich.55 Dabei fielen gelegentlich auch nebenbei Beobachtungen an, die gar nicht intendiert waren. Im Zuge der Bearbeitung einer Prozeßserie entdeckte ich, dass das Rechtsmittel der „Läuterung“, das nach allgemeiner Meinung als ein Spezifikum des Gemeinen Sächsischen Prozessrechts gilt,56 auch in der Praxis des Reichskammergerichts zu finden ist.57 Prozessgruppenwegen ähnlicher Sachverhalte, die als solche erst durch die Neuerschließung der Prozessakten erkennbar geworden waren, zeigten auf, wie das Reichskammergericht Maßstäbe für die rechtliche Behandlung von Grundkonflikten der Zeit erarbeitete und festigte. Dies ist bedeutungsvoll unabhängig davon, ob seine Urteile durchgesetzt wurden oder nicht. In ständiger Rechtsprechung verurteilte das Reichskammergericht es zum Beispiel als rechtswidrig, dass Fürsten, was besonders in Kleinterritorien üblich gewesen war, ihren Gerichten Prozesse entzogen und im Kabinett selbst das Urteil fällten.58 Diese Stärkung der Gerichte führte hin zu der Auffassung, die Justiz habe im Staatsapparat eine Stellung als eigenständige Dritte Gewalt. In sogenannten Untertanenprozessen schützte das Gericht Untertanen vor willkürlicher Behandlung durch ihre Landesherren59 und stärkte damit das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit in Deutschland. In den Religionsprozessen wurde zwar nicht über die Reformation selbst gestritten, wohl aber wurde die Säkularisation von Kirchengütern als deren Folge rechtlich aufgearbeitet.60 InHexenprozessenwehrten sich Betroffene oder ihre Angehörigen gegen rechtswidrige Behandlung in den Verfahren vor den Hexenrichtern im 55 Bernhard Diestelkamp, Rechtsfälle aus dem Alten Reich. Denkwürdige Prozesse vor dem Reichskammergericht. München 1995; ders., Eine versuchte Annäherung Zar Iwans IV., des Schrecklichen, an den Westen? Ein Reichskammergerichtsprozess, der dies nahelegt, in: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, 2000, 305 ff.; ders., Ein Kampf um Freiheit und Recht. Die prozessualen Auseinandersetzungen der Gemeinde Freienseen mit den Grafen zu Solms-Laubach. 2012. 56 G. Buchda, Läuterung, inHRG. Bd. II, 1977, Sp. 1648 ff., 57 Diestelkamp, Ein Kampf (wie Anm. 57), 72 ff. 58 Bernhard Diestelkamp, Reichskammergericht und Rechtsstaatsgedanke. Die Kameraljudikatur gegen die Kabinettsjustiz. Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe 210, Karlsruhe 1994, 1 ff. = Diestelkamp, Recht und Gericht (wie Anm. 7), 325 ff. 59 Rita Sailer, Untertanenprozesse vor dem Reichskammergericht. Rechtsschutz gegen die Obrigkeit in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. QFHG. Bd. 33, 1999. 60 Bernhard Ruthmann, Die Religionsprozesse am Reichskammergericht (1555–1648). Eine Analyse anhand ausgewählter Prozesse. QFHG. Bd. 28 1996. 79
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