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part i • supreme courts • bernhard diestelkamp liche Stellung der Kameralen im 16. Jahrhundert sich grundlegend von der im17. oder gar 18. Jahrhundert unterscheidet. Im16. Jahrhundert war ein Assessorat am Reichskammergericht vielfach die Ausgangsposition für höhere Würden im Dienst des Kaisers oder eines Reichsstandes. In Wetzlar dagegen war das Amt eines Assessors am Reichskammergericht meist der erstrebenswerte Endpunkt einer Juristenkarriere. Unter diesen Bedingungen entstanden in dieser Phase „Dynastien“ von Assessorenoder Prokuratorenfamilien, in denen das Amt gewissermaßen in der Familie „weitergegeben“ wurde.50 NeueErkenntnissezudenEntstehungsbedingungender frühenReichskammergerichtsordnungen haben das Verständnis des Kameralprozesses verbessert.51 Das rapide Anwachsen der Zahl von neu erschlossenen Prozessakten des Reichskammergerichts gestattete darüber hinaus Einblicke in bis dahin nicht einmal als solche erkennbar gewesene Problemfelder. So ließ sich die Arbeitsweise des Gerichts intensiver als nur mit Hilfe der Ordnungen beleuchten,52 wofür die Herausarbeitung der Funktion der Sollicitatur ein illustratives Beispiel ist.53 Beim Studium der Prozeßprotokollekonnte ichfeststellen, dassdieProkuratoreninden Sitzungen nicht nur ihre Schriftsätze vortragen mussten, sondern vielfach mündlich auch neueTatsachen vorbrachten. Die herrschende Meinung, dass der Kameralprozeßeinrein schriftliches Verfahren gewesen sei, wurde dadurch zumindest partiell korrigiert.54 Die Analyse einzelner Prozesse machte den Beitrag des Gerichts zur Entwicklung des Rechtslebens im Reich deut50 Bernhard Diestelkamp,Gesellschaftliches Leben amHof des Kammerrichters.Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung Heft 29, 2002. 51 Peter Schulz, Politische Einflussnahme auf die Entstehung der Reichskammergerichtsordnung 1548. QFHG. Bd.9, 1978; Jürgen Weitzel, Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht. Zur politischen Geschichte der Rechtsmittel in Deutschland. QFHG. Bd. 4, 1976; Bettina Dick, Die Entwicklung des Kameralprozesses nach den Ordnungen von 1495 bis 1555. QFHG. Bd.10, 1991; Tilman Seeger, Die Extrajudicial-Appellation. QFHG. Bd. 25, 1992. 52 Bernhard Diestelkamp, Von der Arbeit des Reichskammergerichts, in: Fern vom Kaiser. Städte und Stätten des Reichskammergerichts. 1995, 91 ff. 53 Bengt Christian Fuchs, Die Sollicitatur am Reichskammergericht. QFHG. Bd. 40, 2002. 54 Bernhard Diestelkamp, Beobachtungen zur Schriftlichkeit im Kameralprozeß, in: Zwischen Formstrenge und Billigkeit. QFHG. Bd. 56, 2009, 105 ff. 78

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