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part i • supreme courts • bernhard diestelkamp sowohl meine veränderten Fragestellungen als auch mein neuer Zugriff durch den Versuch einer quantitativen Erfassung der Inanspruchnahme desGerichts als fruchtbar. Indiesem Zusammenhang nutzte ich bis dahin ungenutzte Quellen. Nach der systematischen Auswertung der von Seyler und Barth gedruckten Protokolle der Sitzungen des Gerichts sowie der wenigen damals schon gedruckten Neuverzeichnungsinventare der Prozessakten zeichnete sich ein genaueres Bild von der Arbeit des Gerichts ab. Das aus der langen Dauer von Prozessen abgeleitete Negativurteil über die Arbeit des Gerichts konnte ich ebenso wie den Vorwurf der Ineffektivität wegen der geringen Zahl von Endurteilen und die Schwäche der Vollstreckungsmöglichkeiten korrigieren.42 Bei der langen Prozessdauer gelang mir dies mit demHinweis darauf, dass der Fortgang der Verfahren nicht primär vom Arbeitseifer der Assessoren abhing, weil der Kammergerichtsprozeß ein reiner Parteiprozess war, der nur dann weiter betrieben werden konnte, wenn die Parteien dies wollten. Die Zahl der Endurteile, die die bisherige Forschung als maßgebliches Effektivitätskriterium angesehen hatte, wäre nur dann ein akzeptabler Maßstab, wenn ein Endurteil vorrangiges Ziel einer Klage gewesen wäre. Die Lässigkeit, mit der so manche Partei ihren Prozeß betrieb, lässt Zweifel daran aufkommen. In einer Gesellschaft, in der traditionell die Selbsthilfe als erlaubtes Mittel zur Rechtsdurchsetzung galt, war es jedoch schon ein sozialer Effektivitätsgewinn, wenn Menschen stattdessen den Klageweg beschritten. Dank der fortschreitenden Neuverzeichnung der Prozessakten des Reichskammergerichts war es meinem Schüler Filippo Ranieri43 und später Anette Baumann44 möglich, meinen quantitativen Zugriff zu perfektionieren. Durch ihre Untersuchungen sind Phasen un42 Diestelkamp, Das Reichskammergericht (wie Anm. 7), 255 ff., 260 ff. 43 Filippo Ranieri, Recht und Gesellschaft im Zeitalter der Rezeption. Eine rechts- und sozialgeschichtliche Analyse der Tätigkeit des Reichskammergerichts im 16. Jahrhundert. QFHG. Bd. 17/I+II, Köln-Wien 1985. Ergänzende und kritische Bemerkungen zur statistischen Methode Ranieris: Manfred Hörner. Anmerkungen zur statistischen Erschließung von Reichskammergerichtsprozessen, in: Prozeßakten als Quelle. Neue Ansätze zur Erforschung der Höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich. QFHG. Bd. 37, 2001, 69 ff. 44 Anette Baumann, Die Gesellchaft der Frühen Neuzeit im Spiegel der Reichskammergerichtsprozesse. Eine sozialgeschichtliche Untersuchung zum17. und 18. Jahrhundert. QFHG. Bd. 36, 2001. 76

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