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in Deutschland noch behaupten wird, ist angesichts des „Bologna-Prozesses“ zweifelhaft. Ich komme zu der letzten Frage (4):Welchen Einfluß hat die (akademische) Theorie tatsächlich auf die gerichtliche, administrative usw. Praxis? Es bietet sich an, hier zwei Arten von Einfluß zu unterscheiden: nämlich den persönlichen, den Professoren ausüben,indem sie zugleich als Praktiker tätig sind (a) und den literarischen, den Professoren als juristische Schriftsteller auf die Praxis haben (b). In Deutschland gab es bis 1879 eine institutionelle Verknüpfung von Rechtslehre und Praxis durch die Spruchtätigkeit der juristischen Fakultäten. Alle etablierten juristischen Fakultäten besaßen ein Spruchkollegium, das über vorgelegte Rechtsfälle entschied oder gutachtete.58 Entstanden sind sie wohl dadurch, daß nach der Rezeption des römischen Rechts gelehrte Juristen in den Gerichten knapp waren und man deshalb auf den Rat der Rechtsprofessoren zurückgriff.59 Bemerkenswerterweise haben die Spruchkollegien aber auch dieWende zu einer wissenschaftlichen Jurisprudenz um1800überdauert. Inzwischen waren die territorialen Gerichte längst mit ausgebildeten Juristen besetzt, und Fakultäts-Spruchkollegien wurden nicht mehr benötigt. Die Fakultäten hielten aber an ihnen fest und die Professoren haben sich weiterhin der Aktenarbeit unterworfen. Gerade die berühmtesten unter ihnen sahen sie als Bereicherung ihrer Arbeit an. So beschwert sich etwa Thibaut zwar gelegentlich über die „gräulichen Actenarbeiten“, wünscht aber bei seinem Ruf nach Heidelberg „keineswegs Dispensation“ davon, „weil ich zur sehr erfahren habe, was man dadurch lernt“.60 jan schröde r 331 58 Einen Überblick geben die Artikel „Aktenversendung“ von G. Buchda, in: HRG 1(1971),Sp.84-87und P.Oestmann, in:HRG1(2.Aufl.,2008),Sp.128-132; „Spruchkollegium“ von H.-W.Thümmel, in: HRG4 (1990), Sp.1781-1786; „Spruchtätigkeit (der Fakultäten)“ von P. Conring, in: HRG4 (1990), Sp. 1787-1791. Eine universitätsübergreifende monographische Darstellung fehlt. Ewas ausführlichere Zusammenfassung der jüngeren Forschungsergebnisse bei Heiner Lück,Die Spruchtätigkeit der Wittenberger Juristenfakultät. Organisation - Verfahren - Ausstrahlung, Köln etc. 1998, s. 17-53. 59 S. die Hinweise bei H. Lück (Fn. 58), s. 37, 50, 67 ff. 60 Briefe vom29. Juni 1804 an Savigny und vom22. Februar 1805 an Heise, in, Rainer Polley, Anton Friedrich Justus Thibaut (AD1772-1840) in seinen Selbstzeug2. Die Anwendung des Rechts und die Rechtstheorie a) Persönliche Einflüsse: Professoren als Praktiker

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