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land für alle Justiz-Berufe und (nach1945) auch für den höherenVerwaltungsdienst. Das System scheint den Nachteil zu haben, daß es die Universitätsausbildung fast bedeutungslos macht und der Praxis eine erhebliches Übergewicht gegenüber der Theorie gibt. So ist es in Preußen bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein tatsächlich gewesen. Da es keine Universitätsabschlußprüfung für die Studenten gab, wurden sie im ersten Staatsexamen von Praktikern geprüft, deren theoretische Ausbildung lange zurücklag und die oft mit dem neuesten Stand der Wissenschaft nicht mehr vertraut waren.Die Prüflinge konnten also ihr gelerntes Wissen nicht anbringen, denn der prüfende Praktiker hatte, wie Jhering einmal äußerte, für ihre Gelehrsamkeit „in der Regel ebensowenig Interesse undVerständnis, wie ein gewöhnlicher Zollbeamter für die kostbarsten Kristalle,Versteinerungen und anatomischen Präparate“.52 Andererseits vermißten die Prüfer gerade bei den preußischen Studenten, die auf den Universitäten vom Allgemeinen Landrecht nur wenig oder gar nichts lernen konnten, die praktischen Rechtskenntnisse und beklagten (wie Kamptz 1834) ihre „unglaubliche Unwissenheit“.53 Das Ergebnis war, daß die Prüfer notgedrungen äußerste Milde walten ließen.Noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts bestanden 95% der Kandidaten in Preußen das erste Examen. Es galt als „Spielerei“,54 hatte keinerlei Selektionseffekt und mit ihm wurde natürlich auch die ganze Universitätsausbildung entwertet und von den Studenten und zukünftigen Praktikern nicht mehr ernst genommen. Es ist bezeichnend, daß z. B. Bismarck das gesamte juristische Prüfungs- und Ausbildungssystem für untauglich hielt. Er meinte,wenn es in Preußen trotzdem gute Beamte gebe, so beruhe dies nur auf der angeborenen „Tüchtigkeit der Menschenrace, die Preußen bewohnt“.55 Dieser Konstruktionsfehler des preußischen Systems wurde aber im Laufe des 19. Jahrhunderts überwunden. In anderen deutschen Staaten jan schröde r 329 51 S. zur Entwicklung des preußischen Ausbildungs- und Prüfungssystems die Arbeiten von U. Bake und I. Ebert, oben Fn. 46; weiterhin Levin Goldschmidt, Rechtsstudium und Prüfungsordnung. Ein Beitrag zur Preußischen und Deutschen Rechtsgeschichte, Stuttgart 1887; KonradWeber, Die Entwicklung des juristischen Prüfungs- und Ausbildungswesens in Preußen, in: Zeitschrift für deutschen Zivilprozeß 59 (1935), s. 1-53, 96-168, 253-290. 52 Zitiert bei I. Ebert (Fn. 46), s. 42. 53 Nach U. Bake (Fn. 46), s. 142; I. Ebert (Fn. 46), s. 20. 54 Nach I. Ebert (Fn. 46), s. 39, dort auch zu den Durchfallquoten. 55 Zitiert bei I. Ebert (Fn. 46), s. 411.

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