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Macht sein, die... an alles denkt, alles vorausschaut... Ich meine, bei dieser Anschauung brauchen wir uns nicht aufzuhalten, sie ist gänzlich unbegründet“.37 So wird der Systemgedanke und der einer produktiven Rechtswissenschaft verabschiedet. Daran hat sich, wie ich meine, bis heute nichts geändert. DerVoluntarismus reduziert aber nicht nur die Bedeutung der Rechtswissenschaft, sondern er verringert auch ihr Gewicht zugunsten der Praxis.Wenn Lücken des Gesetzes nicht mehr aus dem Rechtssystem, durch wissenschaftliches Recht (und ohnehin nicht mehr, wie nach der frühneuzeitlichen Lehre, durch Naturrecht) gefüllt werden konnten, dann stand jetzt überhaupt keine subsidiäre Rechtsquelle mehr zurVerfügung. Die Ausfüllung von Lücken wurde damit zu einer Angelegenheit der Praxis, vor allem der Gerichte. So entsteht jetzt in Deutschland um1900erstmals der Gedanke eines „Richterrechts“. Er wird zunächst von der „Freirechtsbewegung“ (Ehrlich, Kantorowicz, Fuchs, Stampe38) propagiert, verbreitet sich dann aber auch bei konservativen Juristen.39 Schon in den1920er Jahren zweifeln ihn nur noch wenige Außenseiter an. Mit „Richterrecht“ ist dabei zwar nicht gemeint, daß die Rechtsprechung im Sinne eines Präjudiziensystems auch zur Rechtsquelle für andere Entscheidungen wird.Wohl aber bedeutet es, daß der Richter für den Einzelfall neues Recht setzt, indem er seiner Entscheidung einen bisher unbekannten Obersatz zu Grunde legt.40 Damit wird Deutschland zwar nicht zu einem Land des “case re cht swi s s e n scha f t al s j ur i st i sch e dok t r i n 324 37 Gerhard Anschütz, Lücken in den Verfassungs- und Verwaltungsgesetzen, in:Verwaltungsarchiv 14 (1904), S. 315-340 (322). 38 Eugen Ehrlich, Freie Rechtsfindung und freie Rechtswissenschaft (1903), in ders., Recht und Leben, hrsg. von Manfred Rehbinder, Berlin 1967, S. 170 ff. (187, 193); Gnaeus Flavius (Hermann Kantorowicz): Der Kampf um die Rechtswissenschaft (1906), in: Hermann Kantorowicz, Rechtswissenschaft und Soziologie.Ausgewählte Schriften zur Wissenschaftslehre, hrsg. von Thomas Würtenberger, Karls- ruhe 1962, S. 33, 35, 39 (Original S. 39, 42, 49); Ernst Fuchs, Was will die Freirechtsschule?, in ders., Gerechtigkeitswissenschaft. Ausgewählte Schriften zur Freirechtslehre, hrsg. von Albert S. Foulkes und Arthur Kaufmann, Karlsruhe 1965, S.21ff. (27, 29f.,44); Ernst Stampe: Unsere Rechts- und Begriffsbildung, Greifswald 1907, S. 17. 39 Etwa P.Heck (Fn. 35), S.248f.; Josef Unger,Der Kampf um die Rechtswissenschaft, in: DJZ1906, Sp. 781 ff. (784); Ernst Rudolf Bierling: Juristische Prinzi-pienlehre, IV,Tübingen1911, S. 397; Paul Oertmann, Gesetzeszwang und Rich- terfreiheit, Leipzig 1909, S. 23 ff; Lorenz Brütt, Die Kunst der Rechtsanwendung, Berlin 1907, S. 83, 172, 180 f. 40 So Unger, Bierling, Oertmann und Brütt, wie vorige Fn. Zum Ganzen Jan Schrö-

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