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wirken,weil jede Regel wieder durch eine andere erklärt werden müßte und doch nie die Ebene der Anschauung erreichen würde.31 Subsumtion ist keine Sache desVerstandes und der Regel, sondern eine der Urteilskraft. Diese ist, wie Kant sagt, ein besonderes Talent, das „nicht (sc. durch Regeln) belehrt, sondern nur geübt sein will“.32 Damit geratenWissenschaft der Regeln und Technik der Anwendung in einen Gegensatz,den man vorher nicht so gesehen hatte.Auch in der Rechtstheorie bezeichnet man jetzt das Studium der alten „praktischen Jurisprudenz“ als „eine ebenso geistlose wie unnütze Beschäftigung“ (Falck, 1825). Es helfe hier „alleTheorie nichts, sondern allein die Ausbildung der natürlichenAnlage durch gutgeleitete und fortgesetzte Übungen“.33 Konsequenterweise tritt jetzt im Rechtsunterricht die „Übung“ als Lehrveranstaltung an die Stelle der regelgebenden alten „praktischen Rechtsgelehrsamkeit“.34 Diese war nach der Entdeckung der Urteilskraft nicht mehr demVerstand und derWissenschaft zuzurechnen. Sie hatte keinen Platz mehr in der Rechtstheorie. Die wesentlichen Momente im Übergang von der alten Rechtstheorie zur neuen des 19. Jahrhunderts sind also: Wie verhält sich nun die heutige (dogmatische) Rechtstheorie zur Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts? Hat sich dieVorstellung vom schöpferischen Charakter der Rechtswissenschaft behauptet und ist es bei der Eliminierung der berufspraktischen Anleitungen geblieben? Der Anspruch der Rechtswissenschaft, neues Recht produzieren oder aufdecken zu können, hat sich erheblich reduziert. Man kann auch re cht swi s s e n scha f t al s j ur i st i sch e dok t r i n 322 31 Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht abgefaßt, 2.Aufl., Königsberg 1800, s. 119. 32 Immanuel Kant, Critik der reinenVernunft, 2.Aufl., Riga 1787, s. 172. 33 N. Falck (Fn. 28), s. 328 f., 340 f. 34 Dazu J. Schröder,Wissenschaftstheorie (Fn. 1). s. 198 ff. • Die „Jurisprudenz“ wird zur „Rechtswissenschaft“. • Sie erhebt jetzt den Anspruch, das Recht nicht nur zu interpretieren, sondern auch neues, bisher unbekanntes Recht entdecken zu können. • Sie schließt aber die praktischen, „technischen“ Regeln aus derWissenschaft aus. a) Methoden: Produktiver Charakter der Rechtswissenschaft? 3. ZurWeiterentwicklung der (dogmatischen) Rechtstheorie im19. und 20. Jahrhundert

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