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In Deutschland gibt es jedenfalls seit dem14. Jahrhundert eine theoretische Lehre des Rechts und einen akademischen Rechtsunterricht. Beide beziehen sich von Anfang an bis zur Gegenwart hauptsächlich auf das in der Praxis geltende Recht.Andere theoretische Fächer wie Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie entwickeln sich erst allmählich und erlangen niemals auch nur annähernd die Bedeutung der (systematischen, dogmatischen) Lehre des anwendbaren Rechts.Darin liegt auch schon die Antwort auf die Frage (1):Die deutsche Rechtstheorie hat ihre Aufgabe immer vornehmlich darin gesehen, das in der Praxis anwendbare Recht zu lehren. Akademische Rechtslehre einerseits und richterliche etc. Berufspraxis andererseits stehen also in Deutschland von Anfang an in einem Theorie-PraxisVerhältnis.Dabei muß man sich vergegenwärtigen, daß in Deutschland, im Gegensatz zu England und zu denVereinigten Staaten von Amerika, nach der Rezeption des römischen Rechts ein kodifiziertes Rechtssystem herrscht. Die Praxis soll dieses Rechtssystem anwenden und nicht selbständig neues “Fallrecht” schaffen. Dadurch ist ihre Bindung an die Theorie noch erheblich stärker als in einem Fallrechtssystem. Nicht so kurz beantworten läßt sich die Frage (2). Das Selbstverständnis der deutschen (dogmatischen) Rechtstheorie hat sich über die Jahrhunderte hin verändert. Es gibt mindestens drei sehr unterschiedliche Entwicklungsstufen. Sie reichen von einer bloßen “Rechtsklugheit” (Jurisprudenz) in der frühen Neuzeit über die Entstehung einer wissenschaftlichen Rechtsdogmatik im19. Jahrhundert bis zur gegenwärtigen Rechtslehre,die zwischen beidenAuffassungen vermittelt. Ich versuche, ihre unterschiedlichen Charakteristika kurz zu skizzieren. Auf ihrer frühesten Entwicklungsstufe ist die deutsche Rechtstheorie eher rezeptiv und zunehmend auch praxisorientiert. Ihr Selbstverständnis zeigt sich schon in demWort, mit dem sie sich bezeichnet. Sie nennt sich nicht „Rechtswissenschaft“ (iurisscientia), sondern “iurisprudentia”. DasWort „iurisprudentia“ wird im18. Jahrhundert, als man in der Rechtslehre allmählich zur deutschen Sprache übergeht, zure cht swi s s e n scha f t al s j ur i st i sch e dok t r i n 314 1. re cht sth e or i e i n de ut sch land : d i e e ntwi ck lung zur “ re cht swi s s e n scha f t ” und i hr g e g e nwä rt i g e r statu s 1. Die Rechtstheorie (Rechtsgelahrtheit, Rechtsgelehrsamkeit, jurisprudentia) der frühen Neuzeit

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