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dasTheorie-Praxis-Thema ist ambivalent. Nach1871 läßt offenbar der Praxis- undLebens-Druck in Deutschland nach. Die Hochkonjunktur der Gesetzgebung im neuen Reich und ein gewisser nationaler Konsens bieten zunächst genug Leben und einige Streitberuhigung oder - verlagerung in die Rechtspolitik.Wohl erst Kohler beschwört 1889für sein Berliner Archiv für Bürgerliches Recht wieder das Leben und die Jetztzeit (S. vi, vii, v).Das war auch einAuftakt für die heftigen Standesund Methodenkämpfe nach 1900 unter dem Stichwort Freies Recht. Offensichtlich hat Leben zunächst den Charakter einer bequemen Leerformel, die das Theorie-Praxis-Thema harmonisiert. Immerhin hatte Savigny in einem bis heute beliebten Paradesatz imBeruf diese Perspektive angestoßen: „Das Recht nämlich hat kein Daseyn für sich, seinWesen vielmehr ist das Leben der Menschen selbst, von einer besonderen Seite angesehen“.98 Was Lebenpositiv ausmachte,muß also jeweils besonders geklärt werden. Hier stecken dann die Dissense auch zu Theorie-Praxis.Wenn etwa Jhering, Bekker, Gruchot und andere 1857 Praxis und Leben einfordern, geben sie dieWissenschaft nicht etwa aus der Hand. Sie fordern vielmehr eine wissenschaftlicheVerarbeitung der Praxis, die die Wissenschaft wie selbstverständlich in ihrer Füh-rungsrolle belässt. So sollen bei dem einesTheorievorurteils unverdächtigen Hammer Richter Gruchot dem“immer grünen Lebens- baume“ der Praxis „Beiträge zu einer wissenschaftlichen Behandlung entnommen“ werden; die „Theorie“ soll so zum „belebenden Princip der Praxis“ werden“ (Vorwort). Jhering führt eigens und ausführlich das practische Interesse von Wissenschaft aus.99 Ja, die „Verschmelzung der Wissenschaft mit dem Leben“, spitzt er zu, müsse „das Ziel unserer ganzen Jurisprudenz sein“.100 Man hofft hier ohne weiteres und weiterhin auf die richtige juristische Substanz im Leben selbst, die wissenschaftlich ermittelbar sei. Andere Positionen sind in der Minderheit. Im Befruchtungs-Appell trifft man sich trotzdem leicht. Die bemerkenswerte Belebung und Hebung der Diskussion hängt zusammen mit der enormen Stärkung der Praxis inVerwaltung, Justiz und Anwaltschaft seit dem frühen 19. Jahrhundert, in Quantitäten wie Qualität. Es gelang eine erhebliche Professionalisierung undVerwissenschaftlichung.Viele ganz neue Stimmen traten ein in den Chor der Jurisprudenz. re cht swi s s e n scha f t al s j ur i st i sch e dok t r i n 266 98 Savigny (Fn. 18) 30. 99 Jhering, Unsere Aufgabe, in, Jbb. 1 (1857) 11-20. 100 Ebda. 27.

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