Theorie wird erklärt als „wissenschaftliche Erkenntnis, Lehre, die Darstellung einerWissenschaft in ihren inneren Zusammensetzungen“, ein stolzes Programm, mit Kant. Innerer Zusammenhang ist mehr als Aggregat und Ordnung. Aber daneben drohen schon die Irrgänge der Theorieklauber und Theorieschmiede – mit Goethe.4 Sehr differenteWertungen wandern also mit beiTheorie und Praxis. Positives zeigt einText des 18. Jahrhunderts vonGotthelf: „Sie war eine tüchtige (praktische, würde man dato sagen) Frau, aber die höhere Weihe fehlte ihr doch“.5Theorie gibt hier höhereWeihe.Man sieht ein Alltagsstück aus den ewigen Rangkämpfen zwischen höher und niedriger bei theoretisch und praktisch. Die juristischen Theoretiker und Praktiker sind darin besonders geübt. „Vergessen sie die Universität“, muß noch heute oft der Referendaranfänger hören, jetzt beginnt die „Praxis“. Praxis heißt ja die Tätigkeit in pastoralen, ärztlichen, juristischen und anderen Geschäften. DasWortfeld zeigt eine sachliche und wertende Antithetik. Zwei Bereiche stehen nebeneinander und meist nicht gleichrangig. Man wird also die Unterscheidung selbst und zugleich ihre oft wertendenVerwendungen beachten müssen.Nicht so klar ist, was sich eigentlich gegenübersteht – gelehrter Zusammensetzung hier, im tätigenLeben erfahren dort, das sagt viel, aber nicht genug. Um welche Zusammenhänge geht es? Hat die tätige Praxis keinen Zusammenhang? Oder keinen eigenen?Wovon hängt die Hoch- und Niedrigstellung ab? Noch ein ganz anderer Punkt muß historisch einbezogen werden: der reale Kontext. Im Blick auf die Praxis derTheorie und Praxis wird das Sprachspiel sozialgeschichtlich bedeutsam. Es bezeichnet dann große, ziemlich unterschiedlicheTrägergruppen, hier unter den Juristen.6 Sie sind institutionell verfestigt, nämlich die juristischenTheoretiker in der Regel an den Universitäten und die Praktiker in der Regel in Justiz, Anwaltschaft,Verwaltung und Legislative. Reden über juristische Theorie und Praxis hat immer auch diesen Bezug.Auf der juristischfachlichen Ebene erscheinen die Trägergruppen in den Unterscheidungen und Hierarchien der Rechtsquellenlehre. Stichworte wieWissenschaftliches Recht, Juristenrecht, Gewohnheitsrecht,Volksrecht, Gere cht swi s s e n scha f t al s j ur i st i sch e dok t r i n 236 4 Siehe Bd. 11 (1890) 366. 5 Wie Fn. 3. 6 Einige Hinweise dazu nach wie vor bei E. Döhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege seit 1500, 1953, s. 71-75: allg. hoher Adelsanteil in den höheren Gerichten, mehr Bürgerliche aber im19. Jahrhundert, in Preußen real seit 1848/ 49 (74).
RkJQdWJsaXNoZXIy MjYyNDk=