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Die Beschreibung der Arbeitsteilung und der Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlichen Kräften der Rechtsquellenlehre, geben nach der historischen Schule ein Bild von dem komplexen Zusammenhang zwischen Rechtsbildung und Rechtsanwendung. Der tragende Gedanke in Stahls Konzeption ist damit die Verbindung von Theorie und Praxis alsVoraussetzung für ein gesundes Rechtsleben. Die Schlussfolgerung, dass die Rechtswissenschaft keinen Wert für die Rechtsanwendung habe, gehe von falschen Voraussetzungen aus. Die Behauptung Kirchmanns, dass die Rechtswissenschaft die Gerechtigkeit im Einzelfall der abstrakten Regel opfere, stimme, so Stahl, nicht mit derWirklichkeit überein.Wenn die Rechtswissenschaft, um den Zweck eines Gesetzes zu erforschen, „staubige Commentare“ konsultierte oder „die gelehrteste historische Forschung“ ausübte, handelte es sich nicht um „eine künstliche Rechnung“, bei der keine Rücksicht auf die Besonderheiten des Einzelfalles genommen wird. „Im Gegentheil ist es ihre Aufgabe, die Entscheidungen zu individualisiren, das Besondere, Eigenthümliche jeder Streitsache zur Geltung zu bringen“.34 Das bedeutet jedoch nicht, dass die Rechtswissenschaft in das andere Extrem fiel, nämlich, Fälle auf eine ad-hoc-mäßigen Art undWeise allein aufgrund ihrer eigenenVoraussetzungen zu entschieden. Jedes Gerichtsurteil müsse vielmehr das Ergebnis einer Abwägung zwischen den Besonderheiten des Einzelfalles und der generellen Norm sein. Wenn dieser Zusammenhang durchbrochen wird, bleibt nichts Anderes als dieWahl zwischen Scylla und Charybdis, oder die „Wahl zwic la e s p ete r s on 227 33 Stahl, F.J.,Die Philosophie des Rechts, Bd II,Abt. 1,Hildesheim2000(Nachdruck der Ausgabe Tübingen 1878), S. 251-252. 34 Stahl, Rechtswissenschaft oder Volksbewußtsein, S. 10. Gesetze auszulegen, für beide die tiefer liegenden Principien zu entdecken und daraus wieder neue Rechtssätze zu gewinnen, das System des gesammten Rechts, d.i. sein Ineinanderschliessen zu einer Totalwirkung, zu erfassen und im Geiste desselben seine Anwendung zu ordnen. Sie bringt damit den latenten Inhalt des Rechts zur vollen und harmonischen Entfaltung. Sie ist auf diese Weise wahrhaft produktiv, ist ein Element der Rechtsbildung, nicht minder ergiebig als Gewohnheit und Gesetz, aber keineswegs ursprünglich und selbständig wie diese, sondern immer auf ein Gegebenes vor ihr sich lehnend, so dass ihre Resultate an der Uebereinstimmung mit diesem fortwährend zu messen sind“.33

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