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könnte, als das in Rechtsquellen verankerte Recht, d.h. das geltende Recht „in seinem Zusammenhang und seinem Geiste“ darzustellen. Das natürliche Recht wiederum „ist vielmehr Object einer andern Wissenschaft, der Rechtsphilosophie und Politik, und kann von dieser Wissenschaft gleichfalls je nach dem allgemeinen Maaße menschlichenVermögens erreicht werden”. Kirchmann hatte in seinem syllogistischen Schlussfolgerung diese sachlich gesehen höchst unterschiedlichen Diskurse miteinander vermischt. Im Obersatz hatte Kirchmann die Rechtswissenschaft als Rechtsphilosophie und Politik behandelt, mit dem natürlichen Recht als Gegenstand, und im Untersatz als positive Jurisprudenz d.h. als Bindung der Rechtswissenschaft an das positive Recht. Es ist offensichtlich, stellt Stahl fest, dass die Rechtswissenschaft den Anforderungen des Obersatzes des Syllogismus nicht gerecht werden kann. Die ganze Operation sei verfehlt. Kirchmanns Gedankengang hatte vielmehr den Charakter eines Paradoxons: er hatte für die Rechtswissenschaft eine Materie festgelegt, die diese nicht abbilden kann.Das Kirchmann keine deutliche Grenze zwischen dem juristischen und dem politischen Diskurs ziehen konnte, geht, so Stahl, auch daraus hervor, dass er es als ein Unglück betrachtete, dass die „Jurisprudenz die Politik aus sich aussondert“. Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen, machte Stahl deutlich, dass auch er nicht vorhabe, zwischen der positiven Jurisprudenz und der imVolk bestehenden Rechtsauffassung, also dem natürlichen Recht, zu unterscheiden. Jurisprudenz, Politik und Rechtsphilosophie vereinigen sich zu einer einheitlichenWissenschaft in einem höheren Prinzip, stellen aber unterschiedliche Zweige dieses Prinzips mit unterschiedlichen Funktionen und Aufgaben dar.Wenn es darum geht den wissenschaftlichen Wert der Rechtswissenschaft zu beurteilen, Stahl schlussfolgerte, dass, wenn das Objekt der Rechtswissenschaft nichts anderes als das positive Recht sein könne, ihre wissenschaftliche Aufgabe darin bestehen müsse, dieses „in seinem Zusammenhang und seinem Geiste (seinen bestimmenden Principien)“ darzustellen und, so fährt er fort „hierin besteht deshalb ihrWerth alsWissenschaft ganz re cht swi s s e n scha f t al s j ur i st i sch e dok t r i n 224 28 Stahl, S. 6. […] kann doch nur das Object als Maaßtab angelegt werden, das sie wirklich hat, nicht das sie vermeintlich haben sollte und das in der That ihren ganzen Begriff als Jurisprudenz aufhöbe.28

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