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sequenz daraus ist: „DasVolk verliert die Kenntnis seines Rechts und seine Anhänglichkeit an dasselbe“.15 Das Recht wird ausschließlich Eigentum der Juristen. Die Rechtswissenschaft wird dadurch von einemWiderspruch durchdrungen: „sie will den Gegenstand nur begreifen und sie zerdrückt ihn“. Das hat, so Kirchmann, fatale Konsequenzen für die Rechtsanwendung. Die Rechtsanwendung, die auf rechtswissenschaftlichen Analysen aufbaut, trifft nicht das, was im konkreten Fall Recht ist. Statt das wahre und echte Rechtsgefühl, d.h. das natürliche Recht, entscheiden zu lassen, muss das Gerichtsurteil mit Hilfe eines dogmatischenVerfahrens „berechnet“ werden, am besten in Form einer logischen Deduktion, die mehr als irgendetwas anderes dieWissenschaftlichkeit verkörpert. Das ganze Verfahren gleicht einer eiskalt kalkulierten Operation, die „kein empörtes Gefühl über erlittenes Unrecht, keine stolze Erhebung der Brust, daß das Recht den Sieg erhalten“16 zulässt. Diese, so Kirchmann, angebliche Wissenschaftlichkeit schafft eine große Unsicherheit, weil es schwierig, um nicht zu sagen unmöglich ist, das Ergebnis einer solchen, von Juristen ausgeführten logisch deduktiven Operation vorauszusehen: Kirchmann fasst folgendermaßen zusammen: Die Schlussfolgerung daraus ist, dass die Rechtswissenschaft schädlich für die materielle Rechtssicherheit sei und deshalb abgeschafft werden solle. Nicht Rechtswissenschaftler, rechtsgelehrte Richter oder Anwälte, sondern „Männer aus demVolk“ sollen sowohl über Rechts- als auch über Sachfragen entscheiden. re cht swi s s e n scha f t al s j ur i st i sch e dok t r i n 220 15 Ibidem 16 Kirchmann, S. 24. 17 Ibidem. 18 Kirchmann, S. 25. Selbst der Richter, der Gel, wissen nicht unmittelbar, was in dem vorgelegten Falle Rechtens ist. Erst müssen dicke Gesetzbücher, staubige Kommentare nachgeschlagen werden; eine künstliche Rechnung muß angelegt werden, um das zu finden, was in der Brust eines Jeden klar geschrieben sein sollte.17 Dies also ist der Triumph der Rechtswissenschaft, ein Recht, das dasVolk nicht mehr kennt, das seine Brust nicht mehr erfüllt, das von ihm mit den Mächten der Natur auf gleiche Stufe gestellt wird. 18

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