Die Zufälligkeit undWidersprüchlichkeit des positiven Gesetzes färbt folglich auf die Rechtswissenschaft ab: Es verbleibt der Rechtswissenschaft daher nur die Aufgabe, die Mängel des positiven Gesetzes auszugleichen, dessen Lücken zu schließen, Gegensätze aufzulösen und da, wo es möglich ist, auf „künstlichem Umwege“ dessen unvernünftigen Inhalt zu berichtigen. Das ist jedoch etwas, was der Gesetzgeber selbst, mit Hilfe von ein paarWorten, erreichen könnte, und was der „einfache Sinn“ desVolkes, ohne gesetzlich fixierte Normen zustande bringen könnte. Die Rechtswissenschaft kann also niemals Ihr Objekt treffen und „so sei es von vornherein einleuchtend, dass sie keinenWert habe, ja keineWissenschaft sei“. Nach der Bankrotterklärung der Rechtswissenschaft als Wissenschaft, geht Kirchmann dazu über, derenVerhältnis zur Rechtsanwendung zu erörtern.Wenn die Rechtswissenschaft, in der Frage ihrerWissenschaftlichkeit, unvereinbar mit der unberechenbaren Veränderlichkeit des Rechts ist, ist dasVerhältnis nun das umgekehrte: Wenn die Rechtswissenschaft das positive Recht in ihre Begriffe und systematischen Formen presst, zerstört es ihr Objekt. Nun ist es „Das Lebendige, Natürliche, Gerechte” das den „formellen, positiven, antiquierten Bestimmungen“ der Rechtswissenschaft zum Opfer fällt. Kirchmanns Beschreibung desVerlaufs lässt an ein postmodernistisches Dekonstruktions-/Konstruktionsschema denken. Das Recht wird in seine einzelnen Bestandsteile zerlegt, um dann anhand einer Formsprache die ihm fremd ist, wieder zusammengefügt zu werden. Die Konc la e s p ete r s on 219 13 Kirchmann, S. 17. 14 Kirchmann, S. 23. DieWertlosigkeit der Jurisprudenz für die Rechtspflege/Praxis „Indem dieWissenschaft das Zufällige zu ihrem Gegenstand macht, wird sie selbst nur Zufälligkeit; drei berichtigendeWorte des Gesetzgebers und ganze Bibliotheken werden zu Makulatur“.13 War die hemmende Kraft bisher von dem Objekt ausgegangen, so äußert nun dieWissenschaft selbst, durch die Aufnahme des Gegenstandes in ihre Form, eine zerstörende Kraft auf den letztern, gleich, als wollte sie den hartnäckigenWiderstand, den er geleistet, mit Zerstörung seines Wesens bestrafen.13
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