die Praxis habe. Referent war der Erste Staatsanwalt am Kriminalgericht Berlin, Julius Hermann von Kirchmann (1802-1884), der mit beispielloser Eloquenz die etablierte Sicht der historischen Schule seiner Zeit auf die Rolle der Rechtswissenschaft in Bezug auf Rechtsentwicklung und Rechtsanwendung, angriff. DerVortrag, der vor den bedeutendsten deutschen Juristen dieser Zeit gehalten wurde, trug den spektakulären Titel „Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft“.4 Aus demTitel desVortrags hätte man leicht schließen können, dass es sich hierbei um einen Scherz oder „ein Hoax“ handele. Um einer solchen Schlussfolgerung zuvor zu kommen, versicherte Kirchmann jedoch, dass es sich nicht etwa „um einen pikanten Satz“ handele, sondern dass er etwas hervorheben wolle, was seiner Überzeugung nach wahr sei. DesWeiteren gestand er ein, dass der Titel zweideutig erscheinen könne. Einerseits könne er so ausgelegt werden, dass die Rechtswissenschaft an sich wertlos sei, andererseits könne er auch bedeuten, dass die Rechtswissenschaft keinenWert für die Praxis habe. Zum Erstaunen, und wie sich zeigen würde, Gefallen der Zuhörer, erklärte Kirchmann, dass er mit demTitel beide Auslegungsvarianten meine, nämlich dass die Rechtswissenschaft weder eine Wissenschaft sei, noch einenWert für die Praxis habe. Kirchmann wurde mitunter als eine Art Querulant abgestempelt. Sein Auftritt habe den Charakter desVorstoßes eines Einzelnen gehabt, ohne Unterstützung des Juristenkollektivs. Diese Schlussfolgerung ist allerdings falsch. Bereits Stintzing-Landsberg betonte, dass Kirchmann keineswegs „ein Frondeur von Hause aus, ein gekränkter Beamter oder zurückgesetzter älterer Dozent, ein juristischer Laie oder ein verstiegener Romantiker“5 sei.Vielmehr war er ein erfolgreicher Staatsanwalt am Berliner Strafgericht, weshalb seine Ausführungen einen besonderen Eklat auslösten. „(…) die sensationelle Natur des Inhaltes und die mitwirksame Persönlichkeit des Verfassers“, so Stintzig-Landsberg, führten dazu, dass die Veranstaltung als historisches Ereignis erlebt wurde, dessen Folgen unmöglich abzusehen schienen. Zum Szenario gehört natürlich auch die politische Stimmung der Zeit, die in der Revolution von1848ihren Höhepunkt fand.Das Publikum hatte allen Grund, Kirchmanns Auftritt erwartungsvoll entgegenzublicken. c la e s p ete r s on 215 4 1848erschienen3Auflagen desVortrags in Berlin. Dem vorliegenden Beitrag liegt die dritte Auflage zugrunde. 5 Stintzig, R.V., Landsberg, E., Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, 3:2, Neudruck Aalen 1978, S. 743.
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