die göttliche Vorsehung durch entsprechende Offenbarungen die Rolle des Rechtsvolkes zugewiesen hat, konnte in einem romantischen Zeitalter auf Zustimmung rechnen, auch wenn es an kritischen, von Mystizismus und Frömmelei sprechenden Stimmen nicht fehlte.29 Savignys Deutung trug aber nichts gänzlich Fremdes in seinen Gegenstand hinein. Immerhin hatte Justinian selbst Gott und die Trinität als die inspirierenden Kräfte seiner Kodikation angerufen.30 Zugleich war es ein Systemgedanke, aufgrund dessen sich vermöge einer gewissen inneren Verwandtschaft die Quellen des römischen Rechts in eindrucksvoller Weise ordnen ließen. In der Folgezeit zeitigte allerdings die Ungeschichtlichkeit des Deutungsmodells schlimme Folgen. Als mit dem Heraufziehen des deutschen Nationalstaates der romantische Kulturglaube der Historischen Schule verblaßte und sich die Glaubenskräfte auf die Geschichtsmächtigkeit des im und für das Volksleben handelnden Staates zu konzentrieren begannen, blieb von der Savignyschen Lehre nur noch die Überzeugung, daß das Recht ein unmittelbares Lebensphänomen sei, das in der Kunst der Fallentscheidung unmittelbar erkannt werden könne. Das daraus folgende Resultat war ein unglaubliches Paradox. Das römische Recht, dessen gesamte Geschichte auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung sich als ein unablässiges Bemühen um eine gedanklich klar konturierte Systematik der im sozialen Leben zusammenhängenden Rechtsverhältnisse darstellt, wurde zu einem begriffslosen Fallrecht erklärt. Die auf diese Weise verdeckte Entwicklungsgeschichte muß hier noch kurz skizziert werden. Sie wirkt in den Privatrechtskodifikationen bis auf den heutigenTag nach. Sie zeigt uns einmal, wieviel hohe ästhetisch-poetische Kraft in den Rechtsd i e k o d i f i k at i o n u n d d i e j u r i s t e n 33 29 Vgl. nur Thibauts Aufsatz “Über die sogenannte historische und nicht-historische Rechtsschule”, Archiv für die civilistische Praxis XXI (1838) S. 391 ff. = Thibaut und Savigny, Ihre programmatischen Schriften (1973) S. 274 ff. 30 Vgl. meinen Lexikonartikel Codex Justinianus, in: v. Campenhausen u. a. [Hrsg.] Kirchenlexikon für Kirchen- und Staatskirchenrecht, Band 1 (2000), S. 349-351.
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