Rechtswissenschaftliche Bildung muss vielmehr, wenn sie der Rechtsanwendung dienen soll, der selbständigen wissenschaftlichen Entwicklung des Studenten gelten: Die Mahnung des deutschen Philosophen JosephWilhelm Friedrich von Schelling an die Studenten – “Lerne nur, um selbst zu schaffen!” – muss also gedeutet werden als eine Mahnung zu intellektueller Kreativität, die nicht an der Grenze zwischen Wissenschaft und Gesellschaft Halt macht. Die “höheren Interessen der Gesellschaft erfordern, dass die, die ausgebildet werden, um eines Tages als Richter in den Dienst der Gesellschaft zu treten, nicht bloß gewisse Detailkenntnisse im Rechte des Vaterlandes haben, sondern eine hauptsächlich auf geschichtliche und philosophische Basis gelegte, klare Einsicht in die allgemeinen Grundprinzipien, die das positive Recht durchdringen.”46 Auch derjenige, der eine rein praktische Ausbildung erhalten hatte, ein sogenannter routinièr, sollte zwar die unkomplizierten Fälle entscheiden. Schwierige Falle – die entweder Auslegung oder Ausfüllung erforderten – forderten jedoch einen wissenschaftlich gebildeten Juristen, denn nur ein solcher kann die systematisch verwandten Fälle finden, die als Muster für einen Analogieschluss verwendet werden können.47 Es folgt aus Olivecronas Gedankengang, dass der Raum, den die ausgebliebene Kodifikation der juristischen Kreativität in der Praxis gelassen hatte, nicht durch das freie Ermessen des Richters beherrscht werden sollte.Vielmehr muss die Forderung nach ma r i e s a n d s t r ö m 260 45 A. a. O., S. 95. 46 A. a. O., S. 126. 47 Siehe a. a. O., S. 126f, vgl. Olivecronas Beschreibung der englischen Juristenausbildung, siehe besonders a. a. O., S. 65. “… die Studierenden an den Universitäten fordern von ihren Lehrern Anleitung zum wissenschaftlichen Selbststudium, Anleitung, um selber Studien betreiben zu können; sie begnügen sich im Allgemeinen nicht mit lose mitgeteilten wissenschaftlichen Resultaten; sie wollen unter Anleitung ihrer Lehrer selber forschen und sich den Inhalt derWissenschaft aneignen.”45
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