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in den Gerichten zur Anwendung kommt. Eine sinngerechte Rechtswissenschaft im Sinne Savignys gilt daher dem positiven Recht. Es ist kaum ein Zufall, dass die Methodenlehre der historischen Schule dieser Forderung entspricht. Nach Friedrich Julius Stahl, dem herausragenden Ideologen der historischen Rechtsschule, muss die Rechtswissenschaft, wenn sie der Rechtsanwendung dienlich sein will, in erster Linie dem zu einer bestimmten Zeit und bei einem gewissen Volk geltenden Recht gelten.28 Das ist jedoch nicht genug: Das positive Recht – wie alle Objekte des Wissens in Zeit und Raum – kann aus einer Vielzahl Gesichtspunkte betrachtet werden, von denen der des Richters nur einer von vielen ist. In der rechtswissenschaftlichen Tradition, die der historischen Rechtsschule vorherging, zog man eine klare Grenze zwischen der akademischen und der praktischen Jurisprudenz. Theorie und Praxis wurden als grundverschiedene Tätigkeiten mit verschiedenen Mitteln und Zielen betrachtet. Das rechtswissenschaftliche Studium, das Savigny vertrat, kann jedoch nicht in weltabgewandter Isolierung betrieben werden, sondern muss als ein “Gemeingut aller Juristen ..., die mit Ernst und mit offenem Sinn für ihren Beruf arbeiten wollen”29 betrachtet werden. Damit gilt Savignys Hoffnung nicht nur systematischen Darstellungen des positiven Rechts, sondern in weit größeremAusmaße einer systematisierenden Methode, die allen Juristen gemeinsam ist. Damit hatte die deutsche Rechtsordnung “in dem Stand der Juristen wiederum ein Subject für lebendiges Gewohnheitsrecht, also für wahren Fortschritt, gewonnen:”30 d i e k o d i f i k at i o n u n d d i e j u r i s t e n 255 “Aber diese Gemeinschaft unsrerWissenschaft soll nicht blos unter den Juristen von gelehrtem Beruf, den Lehrern und Schriftstellern, statt finden, sondern auch unter den praktischen Rechtsgelehrten. Und eben diese Annäherung der Theorie und Praxis ist es, wovon die eigentliche 28 Stahl, Friedrich Julius, Philosophie des Rechts nach geschichtlicher Ansicht, bd.II, Heidelberg 1830, S. 169. 29 Savigny, a. a. O., S. 76. 30 A. a. O., S. 81.

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