dass einzelne Rechtsregeln – ja, ganze Rechtsfiguren – im Laufe der Zeit einen neuen Inhalt bekommen haben, bestätigt diese Annahme nur, da auch eine Veränderung ihren Ursprung in einem früheren Rechtszustand hat. Faktoren, die heutzutage als rechtliche Tiefstrukturen kategorisiert werden – die sogenannte Juristenkultur – zeigt außerdem eine erstaunlicheWiderstandskraft gegenVeränderungen, was bedeutet, dass sie ohne historische Analyse sogar nur schwerlich entdeckt werden können. Die Lösung der Kodifikationsvorsprecher für das Problem der deutschen Juristen war ohne Zweifel radikal: “wenn ein Glied dir zum Nachteil gereicht, schlage es ab und werfe es ins Feuer”. Es ist doch fraglich, ob diese Lösung zweckgerecht war. Falls Beweggrund für eine Kodifikation war, die historische Vielfältigkeit des Rechts – und in Deutschland auch der Geographie – zu beseitigen, scheint die Lösung derVerfechter des Kodifikationsgedankens in ihrer Einfachheit genial. Das frühere Recht, mit allen seinen Mängeln, wird abgeschafft und ersetzt durch ein einheitliches und gemeinsames Gesetzbuch. Das Problem ist jedoch, nach Savigny, dass das Gesetzbuch nicht nur einfach existieren kann – es soll vor allen Dingen angewendet werden. Einer der Beweggründe für die umfassenden Kodifikationsvorschläge der Aufklärung – und der schwedische Zivilgesetzvorschlag ist hier keine Ausnahme – war zweifelsohne die weitverbreitete Unzufriedenheit mit der Rechsprechung. Die Logik der Rechtsprechung der Gerichte lag außerhalb des Fassungsvermögens des gemeinen Mannes. In vielen Fällen waren nicht einmal die Juristen im Stande, den Ausgang vorherzusehen, und gleichgeartete Fälle wurden augenscheinlich unterschiedlich entschieden. Dieser Mangel anVorhersehbarkeit och Gleichförmigkeit in der Rechtsanwendung gab den Bürgern den Eindruck, dass das Rechtssystem fast wie eine Lotterie funktionierte. Die Schuld für diese Missstände wurde hauptsächlich dem Richterstand angelastet. Die Rechtsunsicherheit kam nämlich daher, dass die Menge an juristischem Stoff es den Richtern d i e k o d i f i k at i o n u n d d i e j u r i s t e n 247
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