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Aus Savignys Beschreibung geht hervor, dass es nicht zuvorderst der materielle Inhalt des deutschen Rechts war, der den Juristen Probleme bereitete. Es war auch kein Mangel an anzuwendenden Rechtsregeln. Es war die schiere Masse an juristischem Material, die das deutsche Rechtssystem zu lähmen drohte. Die Juristen – besonders der Richterstand – hatten nach Savignys Meinung die Kontrolle über das eigene Arbeitsmaterial verloren. Die Konsequenzen dieses Unvermögens, das juristische Material zu beherrschen, zeigten sich vor allen Dingen in der Rechtsanwendung der Gerichte. Die Menge an rechtlichen Regeln, zu der die Geschichte des Rechts geführt hatte, überwältigte die Richter, so dass sie einer akzeptablen Anwendung des Rechts nicht mehr mächtig waren. Die offensichtliche Erklärung für den Zustand der Dinge scheint zu sein, dass die Rechtsquellen hatten Amok laufen dürfen; Gesetzgeber, die zu oft und zu viele Gesetze gaben, Richter, die allzu viele Präzedenzfälle schafften, oder Rechtssubjekte, die ohne Rücksicht auf Verluste gewohnheitsrechtliche Normen schafften, waren daher die Schurken im Drama. Savignys Suche nach der Quelle des Fehlers führte jedoch zu einem anderen Resultat; die Masse des juristischen Materials war die Schlacke der Entwicklung des deutschen Rechts. Der Inhalt der Rechtsquellen war, nach Savigny, kein Zufall. Eher liegt es in der Natur der Geschichte, Sedimente zu produzieren, die aufeinander geschichtet werden und mit der Zeit eine undurchdringliche Masse an Stoff bilden. Über die Jahrhunderte hatten gesellschaftliche Rücksichten eine Myriade von rechtlichen Regeln und Sätzen hervorgebracht, die zum damaligen Zeitpunkt – vermutlich auf Grund der neuen Anforderungen an die juristische Infrastruktur, die die Industrialisierung mit sich führte – zu eine Bürde für die Juristen geworden war. ma r i e s a n d s t r ö m 244

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