Was hinter der Vorstellung eines Rechtsorganismus steht und wie es zu der Auffassung kommen konnte, daß die Zwölftafeln und überhaupt ein Gesetz den gesamten Organismus des römischen Rechts erfaßt, läßt sich recht genau erklären. Das Recht ist hier als Organismus gedacht, weil es in vorklassischer Tradition als das soziale normative System aufgefaßt ist, bei dessen Beachtung und Durchsetzung das Volk selbst nach Analogie eines Leibes so zusammenwirkt, daß alle Menschen, die es bilden, ihrer Natur nach leben können, aber, da diese Natur durch das Recht von vernünftigen Prinzipien erfaßt wird, etwas bilden, was seinerseits einem corpus im weiteren Sinne, einem durch das Recht zusammenhängenden corpus entspricht. In diesem Sinne unterscheidet Seneca, epistulae morales 102,5 in einer Körperlehre, die über die vorklassische Tradition auch in den Digesten bezeugt ist12, zwischen dem einzelnen Menschen, der als zusammenhängender Körper (continuum corpus) von d i e k o d i f i k at i o n u n d d i e j u r i s t e n 23 63 Jahre vomAusbruch des 1. punischen Kriegs hätten etwa gleich viel Bände beansprucht wie die 487 Jahre von der Gründung der Stadt bis zur Kriegserklärung) ausruft: iam provideo animo, velut qui proximis litori vadis inducti mare pedibus ingrediuntur, quidquid progredior, in vastiorem me altitudinem ac velut profundum inveni, et crescere paene opus, quod prima quaeque perficiendo minui videbatur (schon sehe ich im Geiste voraus, daß ich mich, gewissermaßen gleich Menschen, die, in die Untiefen nahe des Ufers geführt, weiter zu Fuß in das Meer hineinschreiten, in dem Maße, in dem ich vorankomme, in größerer Tiefe und gleichsam einem Abgrund befinde, und daß die Aufgabe, die zuerst durch dieVollendung der einzelnenTeile geringer zu werden begann, fast zu wachsen scheint.) Der Hinweis auf die Parallele findet sich bereits in der neuen Institutionenübersetzung (vgl. oben Anm. 6) p. XIV Anm. 2. Das Wort ‘opus’ ist in beiden Stellen wie in der klassischen locatio conductio operis im Sinne des zu vollendendenWerkes, d. h. der genau beschriebene Aufgabe, verwendet. 12 Vgl. einerseits Paulus 30 ad Sabinum D41, 1, 30, in der in einer gewiß auf Sabinus zurückgehenden Darstellung in einer Dreiteilung unter anderem der Mensch als corpus quod continetur uno spiritu demVolk als corpus quod ex distantibus (d.h. aus corpora plura uni nomini subiecta) constat entgegengestellt wird, andererseits Paulus 21 ad edictum D6, 1, 23, 5 in einer vom Mitgründer der sabinianischen Rechtsschule Cassius abhängigen Darstellung: in his corporibus quae ex distantibus corporibus essent, constat singulas partes retinere suam propriam speciem, ut singuli homines .... quod non idem in cohaerentibus corporibus eveniret: nam si statuae meae bracchium alienae statuae addideris, non posse dici bracchium tuum esse, quia tota statua uno spiritu continetur. Daß dies Casssius’ Lehre ist, bestätigt der voraufgehende Text, wo der Eigentumserwerb an dem durch ferruminatio angearbeiteten Arm von diesem Juristen durch das Wirken einer spirituellen Kraft der Einheit und dadurch auch als durch Abtrennung unumkehrbar dargelegt wird (unitate maioris partis consumi [sc. braccchium statuae ferruminatione adiunctum]
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