d i e k o d i f i k at i o n u n d d i e j u r i s t e n 221 anscheinend dem Richter ein Werkzeug zur Verfügung stellt, welches eine einheitliche und damit vorhersehbare Rechtsanwendung garantieren sollte. Die Rechtssicherheit wird weiters durch dieTatsache gestärkt, dass der Richter an denWortlaut des Gesetzes gebunden ist, was verhindern sollte, dass er seine eigenen politischen und moralischenVorlieben einschmuggelte. Die Aufklärungszeit betrachtete und stellte die Kodifikation als einen großen zivilisatorischen Fortschritt dar, da sie radikale Erneuerung und Modernität repräsentierte.Außerdem wurde angesehen, dass sie dem Recht ein äußeres Gewicht und Autorität verlieh. Die Einsicht, dass es unmöglich ist, mit einem Gesetzbuch materielle Vollständigkeit des Rechts zu erreichen, ist jedoch eine genauso alteWahrheit wie der Kodifikationsgedanke selber. Die unendlichenVariationen des praktischen Rechtslebens führen dazu, dass man sich nur “ut in pluribus” aussprechen kann. Die Frage stellt sich daher, ob der umfassende rechtliche Stoff überhaupt mit einer Kodifikation beherrscht werden kann, oder ob die innere Rechtseinheit automatisch einer vollständigen Kodifikation folgt? Unabhängig davon, ob die Kodifikation gemäß einer kasuistischen oder synthetischen Gesetzschreibungstechnik gestaltet wird, kann man feststellen, dass sie so gut wie ausschließlich eine empirische Katalogisierung darstellt. Falls die Kodifikation einenWeg zur wirklichen rechtlichen Einheit ermöglichen soll, muss dem Begriff eine andere Bedeutung gegeben werden, nämlich organische Einheit statt empirisches Aggregat. Es ist auch nicht überraschend, dass die monistische Rechtsquellenlehre, wie die Kodifikationsideologie impliziert, nicht widerspiegelt, was die Juristen inWirklichkeit tun.Wenn die Kodifikation einmal eingeführt ist, zeigt sich nämlich, dass völlig andere Kräfte als das Gesetzbuch die nachfolgende Rechtsanwendung und Rechtsentwicklung steuern. 2 . Savignys Kritik
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