d i e k o d i f i k at i o n u n d d i e j u r i s t e n 219 wendige einheitsbildende Kraft besitzen zu scheinen. Eine vollständige Kodifikation stellt einen radikalen Eingriff dar, dessen Zweck es ist, mit einem Schlag, wie ein “instant fix”, rechtliche Einheit zu erzielen und damit das was am ehesten als rechtlicher Verfall bezeichnet werden kann, verhindert. In diesem Szenario erscheint die Kodifikation deutlich als eine revolutionäre Handlung: durch einen chirurgischen Schnitt wird das kranke, geschichtlich tradierte Recht entfernt, und mit einer Neuregelung des Rechts in der Form der Kodifikation ersetzt. Hauptsächlich sind es also praktische Überlegungen, welche eine Kodifizierung des Rechts vorantreiben. Die rechtliche Einheit, die durch die Kodifizierung erzielt wird, erhöht die Fähigkeit des Juristen, den juristischen Stoff zu überblicken und zu beherrschen. Der feste Ausgangspunkt ist eine vernunftbasierte Gesetzgebung, welche relativ unabhängig von historischen Verhältnissen ist. Dies hat zur Folge, dass die Kodifikation eine derartige Abstraktion erreichen muss, dass sie auf die gleicheWeise angewendet werden kann, unabhängig von Zeit und Ort, d.h. jedwede historische Eigenart muss unterdrückt werden. Besonders das Privatrecht besitzt angeblich eine derartige Eigenschaft, da es eine juristische Formalisierung der neutralen Waren- und Geldbewegungen des Marktes darstellt, welche nur von wirtschaftlichen Gesetzen gesteuert werden. Es besteht, mit anderen Worten, eine Parallele zwischen der Rationalität des Privatrechts und den ebenfalls rationell wirkenden Marktkräften. Beide Zusammenhänge drücken eine Gesetzmäßigkeit aus, welche indifferent im Verhältnis zu allen äußeren historisch veränderlichen Umständen ist. Ein charakteristischer Ausdruck für diese Sichtweise findet sich in Thibaut wieder, wo er meint, dass große Teile des Privatrechtes “sozusagen nur eine Art reine juristische Mathematik sind”. Die Kodifikation soll flächendeckend oder vollständig sein, was wiederum bedeutet, dass der Gesetzgeber sich zum Herrn über die kasuistische Vielfältigkeit machen muss, indem er eine synthetische Gesetzschreibungstechnik entwickelt. Aus
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