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d i e k o d i f i k at i o n u n d d i e j u r i s t e n 213 bleiben sollte. Es zeigte sich jedoch, dass das Gesetz aufgrund seiner Kasuistik und Knappheit schwer anzuwenden war.Wenn Zweifel über die Anwendung des Gesetzes auftraten, mussten sich die Richter für eine autoritative Auslegung des Gesetzestextes an die Gesetzeskommission wenden, welche ihre Tätigkeit mit einer kurzen Unterbrechung bis 1808 fortsetzte. Mit Hilfe von Gesetzeserklärungen und Gutachten wurde die Gesetzeskommission sowohl gesetzesanpassend als auch gesetzesergänzend tätig. Diese ad hoc Rechtsbildung, welche am ehesten als eine zwischen den Reichstagen vorkommende provisorische Gesetzgebung bezeichnet werden kann, wurde mit der Zeit als bestehendes Recht angesehen.9 Das Resultat war ein umfassender Zuwachs an Material, welcher nicht nur die Rechtseinheit in Gefahr brachte, welche durch das Gesetzbuch erzielt worden war, sondern sogar dazu führte, dass das Recht zersplittert und unübersichtlich wurde, mit einer nicht unbedeutenden Rechtsunsicherheit als Folge. 1775, nur 40 Jahre nach dem Erlass des Gesetzbuches, wurde die unzulängliche Rechtslage Gegenstand einer umfassenden Kritik durch den Justizkanzler JoachimWilhelm Liljestråle. In einer akademischen Rede drückte er die Frustration des Juristens beim Anblick des weitläufigen Regelmaterials aus, von welchem der Richter nicht nur Kenntnis haben sollte, sondern dieses auch anwenden können musste. Liljestråle konstatierte, dass “so wie wir früher einen Mangel an Gesetzen hatten, ersticken wir nun an deren Anzahl”.10 1807 wurde eine umfangreiche Gesetzessammlung zusammengestellt, dessen Ziel es war, unter den jeweiligen Paragraphen des Gesetzes aus 1734 alle diejenigenVerordnungen, Gesetzeserklärungen und Gutachten einzuordnen, welche später hinzugekommen waren. Die Gesetzessammlung beweist auf eine deutlicheWeise das “legislative Flickwerk”11, welches während des späten18. Jahrhunderts entstanden war. 9 SieheWürtemberg, S. 144. 10 J.W. Liljestråle, Tal om Lag-Förbättring, Stockholm1775, S. 29. 11 Würtemberg, S. 145.

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