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d i e k o d i f i k at i o n u n d d i e j u r i s t e n 207 zuwiderläuft. Der Preis für ein Aufrechterhalten der wünschenswerten Spalte zwischen Rechtsbildung und Rechtsanwendung ist ein lang betriebener Formalismus, welcher bereits im19. Jahrhundert die Rechtsquellenlehre der Substanz berauben konnte. Wie das einleitende Zitat andeutet,wird zuweilen der Standpunkt vertreten, dass der französische Juristenunterricht von dieser Einäugigkeit geprägt ist. Die Rechtsordnung wird als unveränderlich und als nach einer unerschütterlichen Rechtsquellenhierarchie geformt dargestellt.148 Das meist bestehende Resultat des Code civil ist eine zementierte Dichotomie zwischen geschriebenem und ungeschriebenem Recht. Die Erhebung des geschriebenen Rechts hat bewirkt, dass das ungeschriebene Recht als suspekt und unzuverlässlich angesehen wird. Dieser Dualismus hat sich als unerwartet widerstandsfähig erwiesen. In einem vergleichsweise hohen Grad hat sich die Aufmerksamkeit der französischen Rechtswissenschaft auf das Gesetzgerichtet.Der schwedische Rechtsbildungsbegriff erscheint in einem Vergleich mehr flexibel. Die Machtteilungslehre hat in seiner französischen zivilrechtlichenVariante zu einer tiefgehenden Spaltung zwischen Rechtsbildung und Rechtsanwendung geführt. Ein freierer Rechtsbildungsbegriff bekommt aus französischem Gesichtswinkel negative Konsequenzen für den demokratischen Einfluss.Auf einer mehr abstrakten Ebene hat diese Spaltung einer besondere wissenstheoretischen Grund: Es geht um einen bedeutenden Willen, das allgemein gültige, abstrakte und rationell Schaffende völlig vom dem spezifischen, konkreten und geschichtlich temporären zu trennen. In die erste Kategorie fallen das geschriebene Recht: Gesetz, Dekret,Verordnung und lokale Vorschriften. In die andere Kategorie fallen das ungeschriebene Recht: Praxis, Doktrin, Sitte und allgemeine Rechtsgrundsätze. Eine mögliche Schlussfolgerung ist daher, dass die Rolle des Code civil als erziehende 148 “[Les étudiants] sont prêts à entendre parler d’un droit positif uniformisé, presque intemporel. Ils adhèrent aux descriptions hiérarchiques des sources du droit : leur trouble est grand lorsqu’un iconoclaste conteste devant eux l’autorité de la Cour de cassation ou dénonce les erreurs du législateur...”, Atias, supra n. 139, s. 288.

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